1971 - der Anfang von etwas, das noch nicht bestimmt werden kann?
David Graeber bestimmt in seinem Buch „Schulden - die ersten 5000 Jahre“ das Jahr 1971 als den Anfang von etwas, das noch nicht bestimmt werden kann. Was meint er damit und was bedeutet das für uns im 21. Jahrhundert?
Das letzte Kapitel aus dem Buch von David Graeber beginnt so:
AM 15. AUGUST 1971 gab US-Präsident Richard Nixon bekannt, dass im Ausland gehaltene amerikanische Dollar nicht mehr in Gold umgetauscht werden könnten, womit er das letzte Überbleibsel des internationalen Goldstandards beseitigte.' Dies war das Ende eines Systems, das seit 1931 bestand und am Ende des Zweiten Weltkriegs durch die Vereinbarung von Bretton Woods bestätigt worden war: Die Währung, mit der die amerikanischen Bürger umgingen, war zwar nicht mehr in Gold hinterlegt, aber man konnte US-Dollar, die außerhalb des Landes in Umlauf waren, zu einem Kurs von 35 Dollar pro Unze in Gold umtauschen. Als Präsident Nixon diese Regelung aufkündigte, begründete er damit das bis heute bestehende System flexibler Wechselkurse.
Im weiteren Verlauf des Kapitels biegt Graeber dann in Richtung des Geldmultiplikators ab und einer seltsamen Sicht, nach der die Zentralbank der Regierung in den USA Geld leiht, „indem sie Staatsanleihen erwirbt und diese anschießend in Geld umwandelt, indem sie das von der Regierung geschuldete Geld an andere Banken verleiht“. Die folgende Fußnote 9 enthält dann die Aussagen des Geldmultiplikators. Das Kapitel endet mit einem Plädoyer für einen Schuldenerlass.
Allerdings unterscheidet Graeber nicht zwischen öffentlichen und privaten Schulden (zumindest nicht im letzten Kapitel). Als er sein Buch 2011 veröffentlichte, lag die US-amerikanische Staatsverschuldung bei etwa 15.000 Mrd. $. Heute liegt sie bei weit über 30.000 Mrd. $, also mehr als doppelt so hoch. Heute erkennen wir deutlich, dass die Idee, dass der Staat seine „Schulden“ zurückzahlt, so allgemein nicht gültig ist. Er wälzt zwar seine Staatsanleihen über, ersetzt auslaufende Staatsanleihen durch neue, aber er ist definitiv nicht dabei, seine Staatsverschuldung nominal (in USD) oder als Anteil am BIP in Richtung Null zurückzuführen (siehe Abbildung unten).
1971 war ein interessanter Bruch, weil die Fixkurssysteme der Wechselkurse aufgehoben wurden. Das IS/LM-Modell bspw. besagt, dass ein Anstieg der Staatsausgaben die IS-Kurve nach rechts verschiebt, die LM-Kurve hinaus – was zu einem Anstieg des Zinses führt. In einer Welt fester Wechselkurse ist die Logik die, dass jetzt mehr einheimische Kaufkraft in Umlauf ist, was die Importe erhöht. Damit steigt die Nachfrage nach ausländischer Währung, der Wechselkurs gerät unter Druck. Durch einen höheren Zins werden mehr Investoren angelockt, welche die einheimische Währung kaufen. Das stabilisiert den Wechselkurs wieder.
In der heutigen Welt flexibler Wechselkurse (z.B. EUR-USD) macht eine solche Logik keinen Sinn. Die EZB setzt den Zins, der Wechselkurs passt sich an, wobei der Zins nicht zentral ist – der Wechselkurs schwankt auch dann, wenn die Zinsen in beiden Ländern stabil sind, so wie in den 2010er Jahren (Nullzins in USA und Eurozone). 1971 ist daher das Jahr, in dem Makroökonomen das IS/LM-Modell hätten aufgeben sollen oder müssen. Leider ist es heute, 53 Jahre nach Ende des Bretton-Woods-Systems in den meisten Lehrbüchern immer noch ohne Kommentar beschrieben. Immerhin wird teilweise die LM-Kurve horizontal gelegt, so dass höhere Staatsausgaben nicht zu höheren Zinsen führen. Wenn aber auch höhere Zinsen nicht zu niedrigeren Investitionen führen, wie im Modell angenommen und in der Realität (USA) widerlegt, dann gibt es gar keinen Grund mehr, das IS/LM-Modell überhaupt zu lehren.
Wichtig sind in der Makroökonomik die Höhe der Staatsausgaben (für die Beschäftigung), das Lohn- und Produktivitätswachstum sowie die Inflation und Energiepreise (für die Inflation) und die Veränderung der privaten Verschuldung (für Finanzkrisen). All diese Punkte aber können innerhalb des IS/LM-Modells gar nicht oder nur unzureichend abgebildet werden. Eine Alternative dazu habe ich in meinem eigenen Lehrbuch entwickelt. Dazu werde ich in den kommenden Monaten noch Folien und Online-Videos erstellen: Post-1971-Makroökonomik quasi.