Das tschechisch-slowakische Inflationsparadoxon
Die Theorie des Inflationsziels ist die Theorie, welche von den Zentralbanken heutzutage genutzt wird zur Anleitung der Geldpolitik. Die wesentliche Idee ist die, dass Zinsen Kosten für Unternehmen sind. Die EZB schreibt dazu (eigene Übersetzung):
Veränderungen beim Verbrauch und bei den Investitionen verändern das Niveau der inländischen Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen im Verhältnis zum inländischen Angebot. Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, ist ein Aufwärtsdruck auf die Preise zu erwarten. Darüber hinaus können sich Veränderungen der Gesamtnachfrage in einer Verknappung oder Verknappung der Bedingungen auf den Arbeits- und Vorleistungsmärkten niederschlagen. Dies wiederum kann die Preis- und Lohnbildung auf dem jeweiligen Markt beeinflussen.
Mit anderen Worten: Ein höherer Zins sollte nach dieser Theorie zu weniger privaten Investitionen führen, z.B. zu weniger Immobilienbau. Dadurch würde die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen sinken, weil ja nun die Arbeitslosigkeit höher wäre. Zudem gäbe es dadurch weniger Lohndruck auf dem "Arbeitsmarkt". Die Idee, dass weniger Inflation nur mit mehr Arbeitslosigkeit zu erkaufen ist, wird dabei von ZentralbankerInnen und AkademikerInnen akzeptiert. Hier schreibt der ehemalige Chefökonom und Lehrbuchautor Olivier Blanchard zum Thema:
Während die Idee, dass sinkende Inflation nur mit steigender Arbeitslosigkeit erkauft werden kann, höchst fragwürdig ist (dazu nächste Woche mehr), will ich hier einen kurzen Blick auf die Übertragung von Zinsen zur Inflation werfen. Behauptet wird, höhere Zinsen würden zu höherer Inflation führen. Ein schönes Experiment wäre die Betrachtung zweier Länder, die in der Wirtschaftsstruktur sehr ähnlich sind und bei der Geldpolitik unterschiedliche Wege gehen. Interessanterweise gibt es so ein Beispiel: Tschechien und die Slowakei waren bis in die 1990er Jahre sogar ein Land mit einer Währung, bevor sich die Wege trennten. Die Struktur der Wirtschaft ist ähnlich, nur hat Tschechien eine eigene Währung und die Slowakei nicht, da sie Mitglied der Eurozone ist.
Die tschechische Zentralbank hat seit Sommer 2021 die Zinsen (rote Linie) deutlich angehoben, während in der Slowakei diese unten blieben (lila Linie), da die EZB-Zinsen auch dort gelten. Hier ist ein Blick auf die Statistik:
Die Inflationsrate der beiden Länder war im Sommer 2021 noch gleich. Heute allerdings ist die Inflationsrate in Tschechien (blaue Linie) höher als in der Slowakei (grüne Linie). Dieses interessante Ergebnis widerspricht ganz eindeutig der Idee, dass höhere Zinsen kurzfristig (wir reden hier über Monate bis 1,5 Jahre) zu weniger Inflation führen. Anscheinend stimmt etwas mit der Theorie des Inflationsziels nicht, denn diese soll ja die Realität erklären und nicht andersherum.
Drei Gründe, warum höhere Zinsen zu mehr Inflation führen könnten, fallen mir spontan ein:
- Für die Unternehmen bedeuten höhere Zinsen höhere Kosten. Also erhöhen sie ihre Preise, damit die Gewinne der Unternehmen nicht sinken. Die sind nämlich wichtig für die Rückzahlung von Krediten und anderen Schulen.
- Wenn InvestorInnen jetzt Staatsanleihen mit höheren Zinsen kaufen können, dann werden andere Finanzanlagen unattraktiver. Also erhöhen die Unternehmen die Preise, um mit den höheren Gewinnen auch mehr InvestorInnen dazu zu bewegen, ihre privaten Anleihen zu kaufen und keine Staatsanleihen.
- Höhere Zinsen für dazu, dass die BesitzerInnen von Staatsanleihen mehr Geld von der Bundesregierung bekommen. Dieses könnten sie ausgeben, was die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen erhöht.
Das tschechisch-slowakische Inflationsparadoxon zeigt auf, dass die Sicht der Theorie des Inflationsziels zu einfach ist. Langfristig mag ja eine Zinserhöhung zu einem Zusammenbruch der Investitionen führen und damit die Arbeitslosigkeit erhöhen, aber so einfach ist das nicht, wie uns die Realität zeigt. In Deutschland wird allerdings jetzt schon eine Rezession für 2023 erwartet. Ob die Inflationsraten hierzulande dann zurückgehen, steht auf einem anderen Blatt. Sicher ist allerdings, dass Zinserhöhungen der EZB wohl nicht ursächlich sein werden für Rezession und eventuellen Rückgang der Inflationsrate. Sicher ist auch, dass die Veränderung der Energiepreise die Hauptrolle spielen und die erhöhten Inflationsraten ein Symptom davon sind - nicht hingegen von einer Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, welche das Angebot übersteigt.