Der aufsteigende Stern der MMT – und die Kritik an ihr

06.03.2023

Im Wirtschaftsdienst erschien vor kurzem eine „Kritik” an MMT. Leider haben die Autoren anscheinend nicht viel über die MMT gelesen, denn der Text strotzt vor falschen Aussagen und ist aus wissenschaftlicher Sicht unbefriedigend.

Die Modern Money Theory (MMT) ist mehr als ein Vierteljahrhundert alt. Warren Mosler begründete sie mit seinen Ideen zum „reserve accounting", also zur Schöpfung und Vernichtung von Reserven (Guthaben bei der Zentralbank). Inzwischen gibt es ein 600 Seiten starkes Lehrbuch, einen Primer zu MMT, den NY Times Bestseller von Stephanie Kelton, mein eigenes Buch zur MMT (4. Auflage von 2020) und die MMT-Einführung bei Springer (2022), dazu einen Artikel in den Perspektiven der Wirtschaftspolitik von 2022. Da verwundert es doch stark, dass die Autoren der MMT-Kritik im Wirtschaftsdienst nur die letzten zwei Publikationen plus das Lehrbuch in ihrem Literaturverzeichnis aufgeführt haben. In einem Text zur MMT finden sich im Literaturverzeichnis also 3 Einträge zur MMT - von insgesamt 31. Die Hoffnung auf eine fruchtbare Kritik der MMT schwindet so natürlich auf ein Minimum, denn anscheinend haben die Autoren nicht viel zur MMT gelesen.

Nach Lektüre des Artikels bleibt nicht viel Hoffnung, dass eine wissenschaftliche Debatte folgen kann. Bei den „Hauptaussagen“ der MMT geht es folgendermaßen los:

„Grundlegend für die MMT ist die einfache Vorstellung, dass ein Staat, der sich unbegrenzt durch die Ausgabe eigener Banknoten verschulden kann, jederzeit Vollbeschäftigung und unbegrenzte Investitionsmöglichkeiten schaffen kann, ohne dass davon wirtschaftspolitische Gefahren ausgehen. Es gibt daher keine ernstzunehmenden staatlichen Budgetrestriktionen. Damit wird die eigentliche Trennung zwischen Geld- und Fiskalpolitik faktisch aufgegeben.“

Es werden keine Quellen für die meiner Meinung nach falschen Aussagen benannt (und in den angegebenen Quellen finden sich diese Aussagen zumindest nicht), u.a.: 

  • „ein Staat, der sich unbegrenzt durch die Ausgabe eigener Banknoten verschulden kann“ - Vom Geld drucken sind wir Jahrhunderte entfernt und die MMT hat niemals behauptet, dass der Staat gedruckte Banknoten ausgibt. Zudem „verschuldet” sich die Bundesregierung nach MMT nicht, da sie das Monopol auf die Währung hat, welches sie über ihre Zentralbank in Umlauf bringt. Hier wird der wesentliche Punkt der MMT – die Unterscheidung zwischen Währungsnutzern und Währungsherausgeber” – weggelassen.
  • „jederzeit Vollbeschäftigung und unbegrenzte Investitionsmöglichkeiten“ - Niemand von uns behauptet, dass jederzeit Vollbeschäftigung herzustellen ist, daher plädieren wir ja u.a. für die Jobgarantie zur Bekämpfung von  unfreiwilliger Arbeitslosigkeit. Es ist also bei der MMT wesentlich differenzierter, als es hier dargestellt wird. "Unbegrenzte Investitionsmöglichkeiten” ist sicherlich keine Aussage der MMT. Die Ressourcen sind ja begrenzt, wie soll es da „unbegrenzte Investitionsmöglichkeiten” geben?
  • „Es gibt daher keine ernstzunehmenden staatlichen Budgetrestriktionen.“ - In meinem Buch „Geld und Kredit“ habe ich die Defizitgrenzen und die Schuldenbremse beschrieben. Leider haben die Autoren des Artikels mein Hauptwerk zur MMT anscheinend nicht gefunden, denn es wird weder erwähnt noch zitiert. Auch Stephanie Kelton beschreibt in ihrem Buch Budgetrestriktionen der Bundesregierung in den USA, u.a. Schuldenobergrenze und PAYGO.
  • „Damit wird die eigentliche Trennung zwischen Geld- und Fiskalpolitik faktisch aufgegeben.” - Die MMT ist eine Beschreibung des Geldsystems. Die Zentralbank setzt den Zins, der Staat gibt Geld aus und zieht Geld über Steuern wieder ein. Ich kann nicht nachvollziehen, wie eine Beschreibung des Ist-Zustandes dazu führen soll, Geld- und Fiskalpolitik zusammenzuführen. In meinem eigenen Buch habe ich je ein Kapitel zur Geld- und Fiskalpolitik. Nur leider haben die Autoren das ja nicht gelesen oder wenigstens durchgeblättert. Auch den open access-Artikel zur Pandemie und den Folgen für die Eurozone haben die Autoren nicht gefunden. Wir schlagen da keineswegs vor, die Unabhängigkeit der EZB oder der Bundesbank aufzuheben.

Dazu wird über die „Umsetzbarkeit der MMT“ nachgedacht. Aber was soll das denn sein? Wie kann man denn die „MMT“ umsetzen? Keiner von uns fordert so etwas. MMT ist eine Theorie, eine Beschreibung der Realität. Das lässt sich nicht „umsetzen”. Der Politikvorschlag der Jobgarantie könnte umgesetzt werden, aber leider kommt dieser im ganzen Text gar nicht vor. Nur einmal kann ich den Autoren zustimmen, wenn sie schreiben:

„Die Bereitschaft beispielsweise der EZB im Rahmen des neu geschaffenen Instruments des "Transmission Protection Instruments" in Zukunft zur Verhinderung von hohen Renditeunterschieden zwischen den Staatsanleihen die Schuldenpolitik einzelner Regierungen vollkommen zu akkommodieren, entspricht durchaus den Vorstellungen der MMT.“

Hier wäre es schön gewesen, wenn die Autoren Ehnts und Paetz (2021) zur Kenntnis genommen hätten und weitergehend über Sinn und Unsinn von Defizitgrenzen, Aufkaufprogrammen und Schuldenbremsen nachgedacht hätten. Auch Voldsgaard und Ehnts (2020) mit ihrer Kritik an der aktuellen Geldpolitik hätte als Ausgangspunkt für spannende Überlegungen zur Wirtschaftspolitik getaugt.

Für die Wissenschaft – und das gilt auch für die Volkswirtschaftslehre – entsteht Erkenntnis aus der wissenschaftlichen Debatte. Insofern sind kritische Auseinandersetzungen mit der MMT zu begrüßen. Allerdings müssen diese Texte dann auch wissenschaftliche Kriterien erfüllen. Dazu gehört, sich entsprechend mit den Theorien auseinanderzusetzen (wozu mehr gehört als das Lesen einer Einführung in die MMT und eines weiteren Artikels dazu – das angegebene Lehrbuch mit 600 Seiten haben die Autoren vermutlich eher als Referenz angegeben, zumindest wird daraus nicht zitiert). Wer das macht, der bekommt sofort mit, dass MMT eben keine Theorie des Bargeld oder Goldmünzen-ausgebenden Staates ist, sondern eine Theorie, die im wesentlichen das digitale staatliche Zahlungssystem erklärt und die Rolle, die Zentralbank, Finanzministerium, Banken und private Akteure spielen. Wirtschaftspolitische Gefahren sind für die MMT zentral, denn Vollbeschäftigung und Preisstabilität – das betonte schon der erste akademische MMT-Artikel gleichen Namens – müssen durch Wirtschaftspolitik erzeugt werden. 

Es geht also um die Frage, wie genau Wirtschaftspolitik gestaltet werden soll. Der Artikel im Wirtschaftsdienst lässt aber eine solche Diskussion nicht zu. Stattdessen werden der MMT Falschaussagen angedichtet, ohne dass Quellen angegeben werden, die dann widerlegt werden. Auf einer solchen Basis ist eine ernsthafte Diskussion der MMT sowie der aktuellen und zukünftigen Wirtschaftspolitik leider nicht möglich. Zentrale Aussagen, die der MMT angedichtet werden, müssen belegt werden. Sonst kann jeder einfach seine eigene „MMT” erfinden und dann kritisieren. Der neutrale Beobachter möge sich die oben verlinkten Texte durchlesen oder auch meinen Blog und seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen. Ich sehe auch und gerade durch die steigenden Inflationsraten die MMT bestätigt und die aktuelle Wirtschaftspolitik unter starkem Druck, sich zu wandeln.