Die Lohnentwicklung in der EU 2010-2020: Gewinner und Verlierer
Im vergangenen Jahrzehnt gab es in der EU Gewinner und Verlierer. Neben den Verlierern der Eurokrise gibt es die Gewinner aus Zentral- und Osteuropa. Es tun sich sehr große Lücken auf beim realen Lohnwachstum. Dies deutet auf wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf hin.
Die Abbildung oben zeigt die Veränderung der Nominallöhne (in Euro gemessen) und der Reallöhne (in Kaufkraft gemessen) in der EU im letzten Jahrzehnt. Uns interessieren hier die Reallöhne, denn diese sind für die Entwicklung der Kaufkraft maßgeblich. Wirtschaftswachstum ist etwas anderes, denn hier werden auch die Exporte mit berücksichtigt. Das bedeutet, dass ein Land mit starkem Wachstum des BIP nicht unbedingt ein Land mit hohem realen Lohnwachstum sein muss – es ist sehr wahrscheinlich eher anders herum. Die Menschen interessiert aber letztlich nicht die Exportstärke „ihrer” Volkswirtschaft, sondern die Entwicklung ihrer Kaufkraft.
Relevant sind also die grünen Punkte und diese zeigen an, dass außerhalb der Eurozone in den Ländern Zentral- und Osteuropas die höchsten Lohnzuwächse erzielt worden. Die Raten lagen bei mehr als 55% in Bulgarien, knapp 45% in Rumänien und 25-40% in Polen, Lettland (€), Estland (€) und Ungarn. Knapp darunter blieben Tschechien und die Slowakei sowie Litauen. Nach Slowenien kommt mit Schweden das erste „alte” westeuropäische Land, knapp vor Deutschland. Der EU-Durchschnitt lag bei mickrigen 4% Reallohnwachstum in 10 Jahren – fast ein „verlorenes Jahrzehnt”, denn die Rate liegt mit durchschnittlich 0,4% pro Jahr nur knapp über null. Ganz am Ende stehen Griechenland und Belgien, in denen sich die Reallöhne quasi nicht veränderten und Italien, in welchem diese sogar rückläufig waren.
Die Daten zeigen auf, dass wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf besteht. Zusammengenommen mit der meist steigenden Ungleichheit wird klar, dass sich im letzten Jahrzehnt die Lebensverhältnisse vieler BürgerInnen der EU nicht verbessert haben. Italien und Belgien sind keine kleinen Länder und auch der EU-Durchschnitt macht deutlich, dass hier das Problem in der Breite liegt. Für höhere Löhne braucht es eine höhere Produktivität. Dazu muss der Staat wohl mehr in Infrastruktur investieren, als er das bisher getan hat.
Die Daten zeigen, dass in den 2010er Jahren die öffentlichen Investitionen als Anteil vom BIP in der EU (blau) und der Eurozone (rot) eine Delle nach unter aufwiesen. Es lassen sich nur schwer positive Lohnzuwächse erzielen, wenn die Wirtschaft nicht produktiver wird. Dazu gehören neben den privaten auf die öffentlichen Investitionen und gerade hier liegt wohl das Problem. Dazu passt eine Meldung der EU aus diesem Monat:
„Die Europäische Kommission schätzt, dass in den nächsten zehn Jahren jährlich 650 Milliarden Euro an öffentlichen und privaten Investitionen erforderlich sind, um die Verpflichtungen der EU in Bezug auf den digitalen und grünen Wandel zu erfüllen. Seit der Krise in der Eurozone hat die Europäische Union jedoch einen starken Rückgang der öffentlichen Investitionen zu verzeichnen, wofür nach Ansicht der lokalen und regionalen Entscheidungsträger der europäische wirtschaftspolitische Rahmen mitverantwortlich ist. "Wir müssen vermeiden, dass sich dieses Szenario nach der COVID-19-Krise und dem Einmarsch Russlands in der Ukraine wiederholt", heißt es in dem am 7. Juni von der Fachkommission für Wirtschaftspolitik (ECON) des Europäischen Ausschusses der Regionen (AdR) verabschiedeten Stellungnahmeentwurf.”
Um die Lebensverhältnisse der EuropäerInnen zu verbessern, brauchen wir den digitalen und grünen Wandel. Nur so kann die Produktivität steigen, ohne dass der Ressourcen- und Energieverbrauch weiter ansteigt. Dazu müssen allerdings die öffentlichen Investitionen deutlich erhöhte werden – der Ausschuss der Regionen spricht von 65 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr. Die Frage der Finanzierung stellt sich dabei nicht – alle nationalen Zentralbanken in der Eurozone sind Geldschöpfer und können im Auftrag ihrer Regierung Euros erzeugen, um damit zu bezahlen. Einzig die Fiskalregeln stehen dem im Weg, sofern der Stabilitäts- und Wachstumspakt mit den Defizitgrenzen (3 Prozent vom BIP) ab 2024 wieder gilt. Diese Debatte wird uns noch einige Zeit begleiten, denn anscheinend haben noch nicht alle Seiten verstanden, was auf dem Spiel steht.