Gabriel Felbermayr über MMT

02.01.2024

Der Direktor des Wiener Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, Gabriel Felbermayr, hat sich in einem Interview mit der Börsen-Zeitung auch zu Modern Monetary Theory (MMT) geäußert. Es zeigt sich eine sehr unterschiedlich Sicht auf die Welt. MMT kommt zu ganz anderen wirtschaftspolitischen Empfehlungen als Felbermayr.

In dem Interview mit der Börsen-Zeitung fragt die BZ Felbermayr zu MMT:

B-Z: „Ein ganzes ökonomisches Theoriegebäude – die Modern Monetary Theory (MMT) – hat sich der These verschrieben, dass mehr Schulden letztendlich gut sind für Staat und Gesellschaft. Wie kommt man darauf? Und wie ordnen Sie das ein?“

GF: „Ich bin kein Fan dieser Theorie. Deren Idee ist, dass eine unterausgelastete Volkswirtschaft durch schuldenfinanzierte Staatsausgaben zur Vollauslastung gebracht werden kann und dass dies grenzenlos möglich ist, weil die Staatsschulden von der Notenbank garantiert werden. Überschießt die Nachfragestimulierung und kommt es zu Inflation, dann sollen gemäß der Theorie die Steuern erhöht werden, um durch Reduktion der privaten Nachfrage die Inflation wieder einzudämmen. Das Problem mit dieser vulgärkeynesianischen Theorie ist, dass sie kaum auf den aktuellen Kontext anzuwenden ist. Die meisten Volkswirtschaften der EU sind nicht unterausgelastet, vor allem Deutschland nicht, wo die Arbeitslosigkeit sehr niedrig ist. Außerdem ist die Theorie nicht kompatibel mit einer unabhängigen Zentralbank.“

An dieser Stelle wird deutlich, dass Mainstream-Ökonomen wie Felbermayr mit MMT nichts anfangen können. Auch wenn Felbermayr hier sagt, er wäre kein Fan, so muss vermutet werden, dass er die MMT überhaupt nicht verstanden hat. Es finden sich nämlich einige Falschaussagen in seiner Antwort. Gehen wir die Sätze einzeln durch.

„Deren Idee ist, dass eine unterausgelastete Volkswirtschaft durch schuldenfinanzierte Staatsausgaben zur Vollauslastung gebracht werden kann und dass dies grenzenlos möglich ist, weil die Staatsschulden von der Notenbank garantiert werden.“

Hier spricht Felbermayr von „schuldenfinanzierten“ Staatsausgaben, die es aber nach MMT nicht geben kann. Die MMT als Analyse des heutigen Geldsystems beschreibt die Staatsausgaben der Bundesregierung, um die es ja im wesentlichen geht, als Geldschöpfung der Zentralbank. Gibt der Staat Geld aus, erhöht die Zentralbank die Kontostände der Banken der Empfänger. Das derart geschöpfte neue Geld fließt dann über Steuern zum Staat zurück und wird u.a. zum Kauf von Staatsanleihen verwendet. Die „Finanzierung“ ist also keine, denn erst schöpft der Staat Geld und dann fließt es über Steuern und Staatsanleihen zu ihm zurück. Finanzierung hingegen ist, sich erst Geld zu besorgen und es danach auszugeben – also genau andersherum als hier der Fall.

Felbermayr spricht dann davon, dass „die Staatsschulden von der Notenbank garantiert werden“. Das müsste etwas präziser gefasst werden, denn so kann dies vieles bedeuten. Fakt ist, dass die EZB als sog. Dealer of Last Resort auftritt, also als Käufer der letzten Hand für Staatsanleihen der Länder der Eurozone. Wenn wir diese beiden Satzteile präzisiert haben, dann kann ich Felbermayr zustimmen, dass die MMT tatsächlich sagt, dass Staatsausgaben die Wirtschaft zur Vollauslastung bringen können. Dabei sollte es übrigens eine Kombination von passenden Niveaus von Staatsausgaben und Steuersätzen sein und eine Jobgarantie sein. Es könnte aber auch ein anderer Mix von Politikinstrumenten zum Einsatz kommen. Felbermayr sagt weiter:

Überschießt die Nachfragestimulierung und kommt es zu Inflation, dann sollen gemäß der Theorie die Steuern erhöht werden, um durch Reduktion der privaten Nachfrage die Inflation wieder einzudämmen.

Dies ist sehr simpel gestrickt. Eine „überschießende Nachfragestimulierung“ als Grund für Inflation haben wir in Deutschland seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht gesehen. Vielleicht gab es so etwas in der Folge der Wiedervereinigung, aber das waren sehr besondere Gründe für eine Inflation, die nicht unbedingt etwas mit einer „überschießenden Nachfrage“ zu tun hatten. Die MMT sieht ganz andere Gründe für Inflation, nämlich Kostensteigerungen bei den Produzenten. Dazu gehören Energie- und Rohstoffpreise, aber auch die Löhne. 

MMT sagt übrigens keinesfalls, so wie hier von Felbermayr behauptet, dass „gemäß der Theorie die Steuern erhöht werden“ sollen, um die Inflation wieder einzudämmen. Das ist nämlich gar nicht möglich aus Sicht der MMT. Der Staat kontrolliert die Staatsausgaben zu einem großen Teil über den Bundeshaushalt, nicht jedoch die konjunkturabhängigen sozialstaatlichen Komponenten, zu denen auch die Arbeitslosenversicherung gehört. Deren Ausgaben richten sich nach der Konjunktur. Dies gilt auch für die Steuereinnahmen, die wesentlich von der Konjunktur abhängen. Der Staat bestimmt die Steuerarten und die Steuersätze, nicht jedoch „die Steuern“, womit Felbermayr wohl die Höhe der Steuereinnahmen meint. Die MMT sieht Inflation als komplexes Phänomen, und jede inflationäre Episode ist ein Symptom von Preisveränderungen, welche dafür jeweils ursächlich sind. Wenn z.B. die Energiepreise hoch und dann wieder runtergehen, resultiert zwar „Inflation“ (Preissteigerungen), aber diese ist ein Symptom. Sind die Energiepreise wieder gesunken, wird auch die Inflationsrate wieder zurückgehen und ggf. sogar negativ werden, wenn Preise wieder auf den Wert sinken, den sie vor dem Energiepreisanstieg annahmen.

Felbermayr sagt weiter zu MMT:

Das Problem mit dieser vulgärkeynesianischen Theorie ist, dass sie kaum auf den aktuellen Kontext anzuwenden ist. Die meisten Volkswirtschaften der EU sind nicht unterausgelastet, vor allem Deutschland nicht, wo die Arbeitslosigkeit sehr niedrig ist.

Diese Stelle ist gerade aus ideengeschichtlicher Sicht interessant, denn Felbermayr ist den Neukeynesianern zuzurechnen, die ihrerseits von Joan Robinson und anderen als Vulgärkeynesianer bezeichnet wurden (Quelle). Felbermayr gehört zu denjenigen, die Inflation durch eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit bekämpfen (wollen). Durch mehr Arbeitslosigkeit sinken die Lohneinkommen, die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen sowie nach Arbeit sinkt – Preis- und Lohnwachstum geht zurück. Diese Art der Wirtschaftspolitik, bei der eine kleine Gruppe sich für die Inflation opfert, hält die MMT wiederum für eine der Hauptursachen der steigenden Ungleichheit und des Machtverlustes der Gewerkschaften.

Die Einschätzung von Felbermayr, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland sehr niedrig sei und daher keine Unterauslastung vorläge, weise ich mit einem Blick auf die Statistik zurück. 2,5 Millionen Arbeitslose und dazu 3 Millionen als Stille Reserve (2022), die mehr arbeiten könnten und auch besser qualifiziert, zeigen deutlich an, dass wir weit entfernt von Vollbeschäftigung sind. Das gilt gerade auch für die Länder der EU und der Eurozone, wo die Arbeitslosigkeitsraten in einigen Ländern wie Spanien (12%) noch immer erhöht sind. Auch der Durchschnitt von über 5 Prozent Arbeitslosenquote in der EU ist weit von Vollbeschäftigung entfernt. Daher argumentieren wir auf Basis der MMT, dass die Staatsausgaben in der Eurozone höher liegen müssten, um Vollbeschäftigung anzupeilen. Immerhin waren die höheren Staatsausgaben während der Pandemie wirtschaftspolitisch richtig und haben die Arbeitslosigkeit weiter reduziert. Erst durch deren Rücknahme kam die Dynamik bei den Arbeitsnachfrage jüngst zum Erliegen.

Felbermayr schließt seine Diskussion der MMT mit dem Satz:

„Außerdem ist die Theorie nicht kompatibel mit einer unabhängigen Zentralbank."

Die MMT ist eine Beschreibung des Geldsystems und beschreibt damit auch die „unabhängigen“ Zentralbanken. Es gibt keinerlei Quellen, bei denen MMT-Autoren fordern, die Unabhängigkeit der Zentralbanken auszulösen und die Entscheidung über die Zinsen dem Finanzministerium oder anderen Institutionen zu übertragen.

Das Interview zeigt, dass eine Auseinandersetzung mit der MMT nötiger den je ist. Die MMT lag richtig bei dem Energiepreisschock, der die Ursache der Inflation war. Die Ideen der MMT waren es, auf deren Grundlage in der Pandemie die Fiskalregeln der Eurozone ausgesetzt wurden und auch die deutsche Schuldenbremse. Die aktuell stattfindende Rückkehr zu den Schönwetterregeln, die in guten Zeiten nicht greifen und in schlechten Zeiten ausgesetzt werden, hat Deutschland und die Eurozone 2023 in die Rezession geführt und wird 2024 der Grund dafür sein, dass Europa wohl der kranke Mann der Weltwirtschaft sein wird. Eine andere Wirtschaftspolitik mit einem Staat, der die Konjunktur steuert und in Zeiten von Rezessionen die Staatsausgaben erhöht, ist jederzeit möglich, wie die Pandemie gezeigt hat.

Auch der Rest des Interviews in der Börsen-Zeitung ist interessant, weil Felbermayr hier sehr klar die Mainstream-Position darlegt, die der von MMT klar widerspricht. U.a. sagt er noch:

„Die Monetarisierung von öffentlichen Defiziten kann leicht zu Inflationskrisen führen. Daher ist der direkte Aufkauf von Staatsschulden im Eurosystem eigentlich verboten.“

Auch diese Aussagen sind mit der MMT nicht kompatibel und die Realität hat gezeigt, dass der massenhafte Aufkauf von Staatsanleihen (wie während der Pandemie) eben nicht zu „Inflationskrisen“ führte. Derartige Warnungen basieren auf monetaristischen Ideen, nach denen die Geldmenge die Inflationsrate bestimmt. Es ist aber wohl andersherum die Inflationsrate, welche die Veränderung der Geldmenge beeinflusst. Die Inflationsrate wird wesentlich von Kostenveränderungen bestimmt. Auch Steuersätze und Subventionen des Staates spielen mit rein, aber dies ist ein anderes Thema für ein anderes Mal.