Griechenland - eine Erfolgsgeschichte?
Der Economist nannte Griechenland jüngst eine Erfolgsgeschichte. Während das Land tatsächlich gut durch die Pandemie gekommen ist, hat dies wohl weniger mit dem konservativen Premierminister zu tun, wie der Economist meinst, und mehr mit dem veränderten Verhalten der EZB und der EU-Kommission.
Kyriakos Mitsotakis, griechischer Premier und nach dem Economist „one of Brussels's darlings”, sieht in den Umfragen für die kommenden Wahlen nicht gut aus, was wohl der Artikel motiviert. Der Economist lobt ihn u.a. dafür, die Quote der Staatsverschuldung zum BIP reduziert zu haben. Unter anderem steht in dem Artikel:
„Unter seiner Leitung wuchs Griechenland im vergangenen Jahr fast doppelt so schnell wie der Durchschnitt der Eurozone und wird voraussichtlich auch in diesem Jahr weit über dem Durchschnitt liegen. Ein stetiger Strom von Investitionen aus dem Ausland, unter anderem von so namhaften Unternehmen wie Microsoft und Pfizer, zeigt, dass Griechenland nicht mehr als einer der kränksten Männer Europas gilt. Vor einem Jahr brachte Griechenland sogar sein erstes "Einhorn"-Startup hervor, eine reine Online-Bank namens Viva Wallet.“
Die einseitige Betrachtung der Angebotsseite verwundert. Gerade die Kürzungspolitik der 2010er Jahre hatte das Land wirtschaftlich ruiniert. Die gesunkenen Staatsausgaben vernichteten Hunderttausende Arbeitsplätze und Zehntausende Unternehmen. Erst die Abkehr von dieser Politik ab 2014 brachte das Wachstum zurück. Das Land war bei von der EU abhängig, zumindest bis vor kurzem:
„All dies bedeutet, dass Griechenland im August letzten Jahres von seinen Gläubigern die Erlaubnis erhalten hat, die Überwachungsmechanismen zu verlassen, die ihm in den vorangegangenen 12 Jahren auferlegt worden waren, nachdem das Land um eine Reihe umfangreicher Rettungsmaßnahmen betteln musste, die nun vorzeitig zurückgezahlt werden. Griechenland kann sich nun ganz normal an den Märkten verschulden und zahlt einen Aufschlag von weniger als zwei Prozentpunkten auf den Zinssatz der deutschen Regierung, was in etwa dem von Italien entspricht. Der griechische Zinsaufschlag erreichte 2015 seinen Höchststand und war etwa zehnmal so hoch wie heute. "Wir haben in sehr schwierigen Zeiten ziemlich gute Arbeit geleistet", sagt Herr Mitsotakis - vielleicht bescheiden, aber korrekt.”
Die große Frage ist jetzt: Warum ist die Verzinsung der griechischen Staatsanleihen so niedrig? Die Antwort liegt nicht in Griechenland, sondern in Frankfurt. Die EZB unterstützt im Gegensatz zu den 2010er Jahren jetzt die griechische Regierung (wie die anderen Regierungen auch), indem sie Ankaufprogramme für Staatsanleihen auflegt. Vorher war das nicht der Fall. Wenn also 2010 die Investoren sich fragten, ob zukünftig noch jemand griechische Staatsanleihen kaufen würde, dann konnte die Antwort „Nein!“ lauten. In so einem Fall würden die Preise für die Anleihen schnell verfallen, denn die Nachfrage geht Richtung null. Die griechische Regierung kann dann auch keine Staatsanleihen mehr verkaufen, was bedeutet, dass ihr Konto bei der griechischen Zentralbank negativ bleibt (als Konsequenz der Staatsausgaben, welche die Steuereinnahmen übersteigen).
Griechenland ging also 2010 nicht „Pleite”, sondern verlor den Zugang zur Zentralbank. Diese konnte und kann jederzeit Euros schaffen. Nur darf sie es nicht im Auftrag ihrer Regierung, wenn deren Konto negativ its am Ende des Geschäftstages. Verschiedene Arrangements sorgten dann dafür, dass Griechenland Geld bekam aus der EU, vermittelt durch die Troika. Dieser Sieg der Schulden über die Demokratie war politisch gesehen ein langfristiges Problem, auch wenn kurzfristig ein Sündenbock gefunden war, der eine Umdeutung der Immobilienkrise in eine Staatsschuldenkrise zumindest in Deutschland erlaubte. Langfristig allerdings ist es schlicht inakzeptabel, dass sich nationale Regierungen der Troika beugen, so wie es in Griechenland der Fall war. Länder wie Italien, Spanien und vor allem auch Frankreich würde so etwas nicht zulassen.
Die gesunkene Verzinsung der griechischen Staatsanleihen (siehe Grafik oben) ist also Folge einer veränderten Rolle der EZB und nicht Folge von ökonomischen Vorgängen in Griechenland. Das PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) der EZB galt auch für Griechenland, was die Verzinsung ab 2020 in Richtung Null trieb. Der Anstieg der Verzinsung zuletzt hingegen geht auf die steigenden Zinsen der Eurozone zurück. Die Verzinsung der Anleihen richtet sich nach dem Einlagezins der EZB.
Griechenlands „Erfolg” liegt also begründet in der Abkehr von der Austeritätspolitik und der veränderten Rolle der EZB, die seit 2012 als dealer-of-last-resort auftritt und seit 2020 auch für Griechenland diese Rolle angenommen hat. Nur wenn die Staatsausgaben hoch genug sind und eine Zahlungsunfähigkeit der Regierung unmöglich ist, sind die makroökonomischen Bedingungen so gut, dass Start-Ups florieren und Unternehmen aus dem Inland nach Griechenland kommen. Der Erfolg von Griechenland in dieser Dimension zeigt, dass die fiskalischen Regeln der EU dringend verbessert werden müssen. Die EZB in Frankfurt hat ihre Hausaufgaben gemacht und aus Fehlern gelernt. Jetzt muss Brüssel nachziehen.