Haben wir die Geldpolitik auf den Kopf gestellt?

30.10.2023

Die Zentralbanken nehmen an, dass höhere Zinsen die Wirtschaft abbremsen. Der Gründungsvater der MMT, Warren Mosler, hingegen argumentiert, dass steigende Zinsen die Einkommen der Haushalte und Unternehmen erhöhen und daher die Wirtschaft ankurbeln. Die letzten Monate scheinen diese Sicht der Dinge zu bestätigen.

Im August 2022, also vor über einem Jahr, berichtete die NY Times über Warren Mosler und dessen Aussagen zur Geldpolitik:

„Was wäre, wenn die US-Notenbank mit der Anhebung der Zinssätze das Gegenteil von dem tut, was sie beabsichtigt? Was, wenn höhere Zinssätze tatsächlich das Wachstum beschleunigen, indem sie mehr Geld in die Wirtschaft pumpen - anstatt das Wachstum zu verlangsamen, indem sie es teurer machen, Geld zu leihen? Das wäre ein verwirrendes Durcheinander.

Doch genau das ist die Situation, in der wir uns befinden, behauptet ein unkonventioneller Hedgefondsmanager und Unternehmer namens Warren Mosler.“

Ein Blick auf die Daten, den die NY Times vor einem Jahr unternahm und der heute die Sicht von Warren Mosler weiter bestätigt, zeigt, dass die Zinseinkommen des privaten Sektors in den USA mit den steigenden Zinsen der Zentralbank angestiegen sind.

Die Abbildung oben zeigt, dass das Nettozinseinkommen der Haushalte und Unternehmen in den USA sich parallel zu Zinsen am Interbankenmarkt entwickeln. Letztere sind die Zielvariable der Federal Reserve Bank und werden von dieser durch Zinspolitik ziemlich direkt beeinflusst. Die Frage ist nun, wie genau der Übertragungskanal aussieht. Woher bekommt der private Sektor zusätzliche Einkommen bei steigenden Zinsen?

Die Antwort finden wir im Bereich der Staatsanleihen. Wenn die Zinsen steigen, dann müssen auch die Zinsen auf Staatsanleihen steigen, denn sonst kauft die niemand mehr. Steigende Zinszahlungen des Staates müssen dann Dollar für Dollar zu steigenden Zinseinkünften des privaten Sektors führen. In der obigen Abbildung steigen diese von etwa 130 Mrd. $ 2021 auf fast 180 Mrd. $ – das ist ein Plus von 50 Mrd. $ jährlich! Schauen wir uns als nächstes die Zinszahlungen der Bundesregierung der USA an.

Dies Zinszahlungen sind durch den Anstieg der Zinsen und die Ausweitung der „Staatsverschuldung” (der Summe aller Staatsausgaben minus alle Steuereinnahmen) von etwa 500 Mrd. $ auf fast 1.000 Mrd. $ jährlich angestiegen. Allerdings besitzen die US-amerikanischen Haushalte, Unternehmen und Banken nicht alle Staatsanleihen im Wert von etwa 30 Billionen $, sondern „nur“ etwa ein Drittel. Ein weiteres Drittel ist im Besitz der Zentralbank, die über Ankaufprogramme massenhaft Staatsanleihen erworben hat und dazu besitzen ausländische Zentralbanken und Investoren etwas weniger als ein weiteres Drittel.

Ein Drittel von 500 Mrd. $ ist weit mehr als nur 50 Mrd. $, nämlich etwa 160 Mrd. $. Es ist also möglich, dass die steigenden Zinszahlungen des Staates durch verminderte Zinszahlungen innerhalb des privaten Sektors reduziert wurden, z.B. weil weniger Kredite vergeben wurden oder sogar welche geplatzt sind. Es scheint also so zu sein, dass Zinserhöhungen zwei wesentliche Effekte haben:

  1. Expansiver Zinskanal über höhere Zinsen auf Staatsanleihen
  2. Kontraktiver Kanal über geringere private Investitionen

Überwiegt der erste Effekt den zweiten Effekt, dann sind steigenden Zinsen tatsächlich expansive Wirtschaftspolitik, weil die EmpfängerInnen der Zinseinkommen wenigstens einen Teil davon ausgeben und somit die Nachfrage nach Güter und Dienstleistungen ankurbeln. Ob der zweite Effekt funktioniert, ist schwer zu sagen. Ein Arbeitspapier der Federal Reserve Bank von 2014 bestreitet, dass die Investitionen der Unternehmen zinssensitiv sind:

„Ein Grundgedanke der traditionellen Theorien über Investitionen und die Übertragung der Geldpolitik ist, dass die Zinssätze eine entscheidende Determinante für die Investitionsausgaben der Unternehmen sind. Ein großer Teil der empirischen Forschung liefert jedoch bestenfalls gemischte Belege für erhebliche Zinseffekte auf Investitionen. Wir untersuchen die Empfindlichkeit von Investitionsplänen gegenüber Zinssätzen auf der Grundlage von Umfragen unter Finanzvorständen während des jüngsten Wirtschaftsaufschwungs. Wir stellen fest, dass die meisten Unternehmen angeben, dass ihre Investitionspläne ziemlich unempfindlich auf sinkende Zinssätze und nur etwas empfindlicher auf steigende Zinssätze reagieren.“

Dann blieben noch die privaten Investitionen auf dem Immobilienmarkt, sowohl im Bereich der gewerblichen wie auch im Bereich der Wohnimmobilien. Während es in Deutschland nach einem Preisrückgang aussieht (was aber eventuell eher der Kürzungspolitik der Bundesregierung geschuldet ist als den höheren Zinsen der EZB), haben die Hauspreise in den USA nur ganz kurz einmal Luft geholt und steigen jetzt wieder:

Letzte Woche wurde gemeldet, dass die vierteljährliche Wachstumsrate der USA basierend auf den neuesten Daten bei fast fünf Prozent lag. Während viele schrieben, dass dies „trotz der steigenden Zinsen” passieren würde, müssen wir wohl umdenken und zukünftig schreiben, dass die „aufgrund der steigenden Zinsen und Staatsausgaben“ der Fall war. Denn anders als in Deutschland erhöht die Regierung der USA (wie auch die von Japan oder China) die Staatsausgaben, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Die erhöhten Inflationsraten sind eine Folge von Energiepreisschüben und daher kein Grund zu einer Reduktion der staatlichen Ausgaben.

Die Zeit der „one size fits all“-Geldpolitik, in der Zentralbanken stumpf mit Zinserhöhungen auf Inflation reagierten, unabhängig von der Quelle der steigenden Preise, und Millionen von Menschen in die Arbeitslosigkeit stürzten, um Preisstabilität für den Rest der Gesellschaft zu erzeugen, scheint sich dem Ende zuzuneigen. Die Kollateralschäden dieser Politik, sofern sie überhaupt funktioniert, sind Verarmung, Arbeitslosigkeit, weniger Bau von Häusern und Wohnungen, ein geringeres Angebot an Güter und Dienstleistungen sowie ein geringeres Potential in der Zukunft (durch fallende Investitionen) und inzwischen auch abstürzende Gewinne bei den Betreibern alternativer Energiequellen. Preisstabilität ist ein hohes gut und es wäre fatal, die empirische Realität zu ignorieren und weiterhin Modelle in Zentralbanken zu nutzen, die längst widerlegt sind.