IWF: Fiskalische Konsolidierung erhöht die Staatsverschuldung

18.04.2023

Der IWF hat in einer neuen Publikation die Effekte sogenannter „fiskalischer Konsolidierung” betrachtet. Gemeint sind Staatsausgabenkürzungen und die folgende Veränderung der „Staatsverschuldung”. Diese steigt an, wenn Staatsausgaben gekürzt werden. Austeritätspolitik scheitert selbst am eigenen Maßstab.

Der World Economic Outlook des Internationalen Währungsfonds (IWF) beinhaltet eine Grafik in Kapitel 3, die sehr interessant ist. Abbildung 3.3 (unten) zeigt den Effekt von Versuchen, die Differenz zwischen Steuereinnahmen und Staatsausgaben ohne Zinsen (die sog. „primary balance”) zu reduzieren. Die vertikale Achse zeigt dabei die Veränderung der „Staatsverschuldung“ an, also der Differenz zwischen allen Staatsausgaben und allen Steuereinnahmen über die Zeit. Die „Staatsverschuldung” ist also nur ein statistischer Wert, der die Höhe der Ausgaben geteilt durch das BIP bemisst, welche die Steuereinnahmen überstiegen haben. Mit anderen Worten: „Staatsverschuldung“ ist Geld, was der Staat ausgegeben, aber noch nicht über Steuern wieder eingenommen hat. Er schuldet aber niemandem etwas in Höhe der Staatsverschuldung. (Die Ausgabe von Staatsanleihen dient der Stabilisierung des Zinses und kann jederzeit entweder eingestellt werden oder von der Zentralbank absorbiert werden.)

Die horizontale Achse zeigt die Jahre nach Beginn der Maßnahme (0 bis 5 Jahre). Der blaue Balken zeigt dann den Durchschnitt der industriellen Volkswirtschaften an, rot den der Schwellenländer. Balken im negativen Bereich zeigen an, dass die „Staatsverschuldung“ sinkt, Balken im positiven Bereich zeigen an, dass die "Staatsverschuldung" steigt. Es ist deutlich zu sehen, das ab dem 2. Jahr die "Staatsverschuldung" in beiden Fällen deutlich ansteigt. Dies ist ein empirisches Resultat, welches es theoretisch zu erklären gilt. Warum also führt der Versuch, die Differenz zwischen Steuereinnahmen und Staatsausgaben ohne Zinsen zu reduzieren, zu einer höheren Staatsverschuldung? 

Anscheinend sind Staatsausgaben und Steuereinnahmen keine unabhängigen Variablen. Die Logik liegt quasi auf der Hand: Wenn die Staatsausgaben sinken, sinken eins zu eins die Einnahmen bei Haushalten und Unternehmen (das Ausland vernachlässige ich hier). Sinkende Einnahmen führen zu geringeren Steuerzahlungen und auch zu geringeren Ausgaben, die wiederum ebenfalls zu geringeren Steuerzahlungen führen (u.a. weil weniger Mehrwertsteuer gezahlt wird). Das ist auch die Lektion aus der Eurokrise: Staatsausgabenkürzungen führen zu höherer "Staatsverschuldung" (siehe folgende Abbildung)!

Zwei Gedanken folgen aus diesen statistischen Ergebnissen. Erstens, wer die „Staatsverschuldung” ernsthaft reduzieren möchte, muss die Steuern so erhöhen, dass die Ausgaben nicht sinken. Realistisch sind dabei nur (höhere) Steuern auf Vermögen und hohe Einkommen. Eine Reduktion von Ausgaben des Staates, welche bei den unteren 90 Prozent der EinkommensempfängerInnen landen, wird die „Staatsverschuldung” nach oben treiben. Damit kann dann die nächste Runde an Kürzungen der Staatsausgaben gerechtfertigt werden – ein politisches Spiel mit einem ökonomisch verkleideten angeblichen Sachzwang.

Zweitens, diese Ergebnisse zeigen, dass eine Ausrichtung der Staatsausgaben und Steuereinnahmen an fiskalischen Kennzahlen theoretisch unsinnig und praktisch unmöglich ist. Dies sollte auf nationaler wie auf europäischer Ebene zu denken geben. Die Schuldenbremse in Deutschland und die Defizitgrenzen der EU (Stabilitäts- und Wachstumspakt) basieren auf der Idee, dass Kürzungen der Staatsausgaben dazu führen, dass die „Staatsverschuldung” – das Gegenteil ist aber, wie der IWF zeigt, der Fall. Es ist an der Zeit, das „fiscal framework” der EU nicht nur zu überdenken und zu reformieren, sondern nach Alternativen zu suchen, die bessere Ergebnisse erzielen. Gemeint ist nicht eine geringere "Staatsverschuldung", sondern gemeint sind Preisstabilität, Vollbeschäftigung und nachhaltige Bewirtschaftung der Ressourcen. Aktuell haben wir in Deutschland und der Eurozone kein einziges wirtschaftspolitisches Ziel erreicht. Die Ausrichtung der Fiskalpolitik an abstrakten und willkürlichen Kennzahlen ist Schuld daran.