Kurbeln höhere Zinsen die Wirtschaft an?
Während die meisten Akademiker und Zentralbanken davon ausgehen, dass höhere Zinsen die Wirtschaft bremsen, erkennt die MMT in höheren Zinsen unter gewissen Umständen eine expansive Fiskalpolitik. In den USA sind diese erfüllt und immer mehr Praktiker erkennen die Sicht der MMT als relevant an.
Die Anhänger der neu-keynesianischen Theorie und die meisten Lehrbücher, eigentlich alle außer meinem eigenen, sehen einen Anstieg der Leitzinsen als Bremse der Wirtschaft. Nach deren Logik reduzieren höhere Kapitalkosten die Erträge von Investitionen. Einige von diesen werden sich dann nicht mehr lohnen. Also werden die Investitionen sinken und damit die Nachfrage nach Arbeit, was das Lohnwachstum bremst, und nach Gütern und Dienstleistungen, was den Konsumgüterpreisauftrieb bremst. Die Zentralbank kann und soll den Zins wählen, bei dem die Inflationsrate dem Inflationsziel entspricht, wie jüngst von Peter Bofinger im Handelsblatt gefordert.
Wer allerdings in den USA auf die Wirtschaft blickt, der muss ins Grübeln kommen bei diesen Ideen. Erstens sind sie theoretisch widerlegt, und zwar seit 1936, als John Maynard Keynes bemerkte, dass der „natürliche Zins“ nicht unabhängig von der Höhe der Staatsausgaben (und damit der Beschäftigung sei). Zweitens zeigen die Daten sehr deutlich, dass wesentliche Effekte aus der Theorie in der Praxis nicht auftreten und zudem in der Praxis wesentliche Kanäle existieren, die in der Theorie nicht auftreten. Bekannterweise ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis in der Praxis größer als in der Theorie, u.a. weil die Praktiker Milliarden verlieren, wenn sie Fehler machen, während kein Makroökonom seine Professur verliert, auch wenn er ständig daneben liegt und nicht dazu lernt.
In einem Artikel von Bloomberg, der bei Yahoo frei zugänglich ist, kommen nun Praktiker zu Wort, die anerkennen, dass steigende Zinsen dafür sorgen, dass die jährlichen Zinszahlungen der Regierung der USA auf über 1.000 Mrd. $ (!) angestiegen sind (siehe Abbildung oben). Auch wenn die Fed noch einen großen Teil der Staatsanleihen besitzt, werden hier Hunderte von Milliarden $ als leistungslose Einkommen ausgezahlt, die sicherlich irgendwie verausgabt werden. In dem Artikel heißt es dazu (eigene Übersetzung mit DeepL):
„Der Grund dafür [die Expansion ist bei hohen Zinsen noch stärker als bei geringeren Zinsen] ist, dass der Sprung der Leitzinsen von 0 % auf über 5 % den Amerikanern zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten einen bedeutenden Einkommensstrom aus ihren Anleiheanlagen und Sparkonten beschert, argumentieren die Kontrahenten. "Die Realität ist, dass die Menschen mehr Geld haben", sagt Kevin Muir, ein ehemaliger Derivatehändler bei RBC Capital Markets, der jetzt einen Investment-Newsletter namens The MacroTourist herausgibt.
Diese Menschen - und Unternehmen - geben ihrerseits einen ausreichend großen Teil des neu gewonnenen Geldes aus, um die Nachfrage zu steigern und das Wachstum anzukurbeln.“
Die höheren Zinsen erhöhen die Einkommen der Besitzer von Staatsanleihen und damit deren Ausgaben, zwar sicherlich nicht $ für $, aber irgendein positiver Anteil des zusätzlichen Zinseinkommens werden die Haushalte sicherlich verausgaben. Damit steigt also die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, wenn die Zinsen steigen! Das ist der gegenteilige Effekt zu dem, was die Lehrbücher sagen. Weiter heißt es in dem Artikel (eigene Übersetzung mit DeepL):
„Einhorn weist darauf hin, dass die US-Haushalte Erträge aus kurzfristigen zinstragenden Vermögenswerten in Höhe von mehr als 13 Billionen Dollar erhalten, was fast dem Dreifachen der 5 Billionen Dollar an Verbraucherschulden (ohne Hypotheken) entspricht, für die sie Zinsen zahlen müssen. Bei den heutigen Zinssätzen bedeutet das für die Haushalte einen Nettogewinn von etwa 400 Milliarden Dollar pro Jahr, schätzt er.
"Wenn die Zinsen unter einen bestimmten Wert fallen, bremsen sie die Wirtschaft", sagte Einhorn im Februar im Bloomberg-Podcast Masters in Business. Er nennt das Gerede, dass die Fed die Zinsen senken muss, um eine Verlangsamung zu vermeiden, "wirklich seltsam".
"Die Dinge stehen ziemlich gut", sagte er. "Ich glaube nicht, dass sie mit einer Zinssenkung irgendjemandem wirklich helfen werden".“
Nun könnte man also sagen, es wäre ein Nettoeffekt. Steigende Zinsen erhöhen die Einkommen, aber auch die Ausgaben von/aus Zinsen. Dazu würde noch der Effekt einer geringeren privaten Investitionstätigkeit kommen, der in den Modellen angenommen wird. Aber auch hier verhält sich die Realität anders, als die Modelle das annehmen, denn die privaten Investitionen in den USA steigen mit steigenden Zinsen, wie die folgende Abbildung zeigt:
Im Artikel kommt auch noch ein Fondsmanager zu Wort, der selber Geschäfte betreibt (eigene Übersetzung mit DeepL):
„Bill Eigen lacht, wenn er sich daran erinnert, wie viele an der Wall Street eine Katastrophe vorhersagten, als die Fed begann, die Zinsen anzuheben. "Sie werden nie über 1,5 % oder 2 % hinausgehen", sagt er sarkastisch, "denn das würde die Wirtschaft zusammenbrechen lassen."
Eigen, ein Rentenfondsmanager bei JPMorgan Chase, ist kein ausgesprochener Befürworter der neuen Theorie. Er gehört eher zu denjenigen, die mit den Grundzügen der Idee sympathisieren. Diese Haltung hat ihm geholfen, die Notwendigkeit zu erkennen, sein Portfolio umzugestalten und es mit Barmitteln aufzustocken - ein Schritt, der ihn in den letzten drei Jahren unter die besten 10 % der aktiven Rentenfondsmanager gebracht hat.
Neben seiner Tätigkeit bei JPMorgan hat Eigen zwei Nebenbeschäftigungen. Er betreibt ein Fitnesscenter und eine Autowerkstatt. An beiden Orten geben die Leute immer mehr Geld aus, sagt er. Vor allem Rentner. Sie sind, wie er anmerkt, vielleicht die größten Nutznießer der höheren Zinsen.“
Die Geldtheorie der Lehrbücher gerät also gehörig ins Wanken, denn steigende Zinsen sorgen nicht für weniger Nachfrage nach Arbeit oder Gütern und Dienstleistungen und dazu wird der Zinskanal über die Zinsen auf Staatsanleihen ignoriert, obwohl so zusätzliche Einkommen in Höhe von Hunderten von Milliarden $ pro Jahr geschaffen werden. In meinem eigenen Lehrbuch habe ich auf eine IS-Kurve verzichtet und damit auf die Idee, dass es einen (negativen) mechanischen Zusammenhang zwischen Zinsen und der Höhe privater Investitionen gibt.
Ursprünglich hatte ich den auch mit drin, aber durch Gespräche mit Warren Mosler, der übrigens in dem Artikel von Bloomberg auch erwähnt wird, habe ich dann eingesehen, dass eine derartige Korrelation empirisch nicht vorliegt – und mit meinem Modell möchte ich die Realität erklären. Also sind in meinem Modell die privaten Investitionen exogen, also unabhängig von anderen Variablen. Wenn ich sie überhaupt endogenisieren würde, dann in Abhängigkeit von den Staatsausgaben, denn diese steigen in den USA deutlich schneller an als bspw. in Deutschland, was sicherlich der Hauptgrund dafür ist, dass die US-Wirtschaft wächst und die deutsche Wirtschaft nicht.