Lohn-Preis-Spiralen: Was ist die historische Evidenz?
Ein Papier des IWF sucht nach Evidenz für die vielzitierten Lohn-Preis-Spiralen. Ergebnis: "Wir kommen zu dem Schluss, dass eine Beschleunigung der Nominallöhne nicht zwangsläufig als Zeichen für das Einsetzen einer Lohn-Preis-Spirale gewertet werden sollte.“
In der Energiepreisinflation wurde von Ökonomen immer wieder vorgebracht, dass steigende Löhne zu vermeiden wären, weil daraus eine Lohn-Preis-Spirale resultieren könne. Hier ein typischer Artikel aus der Welt:
„Zuletzt waren Tarifverhandlungen geprägt von der Debatte über eine drohende "Lohn-Preis-Spirale", die die ohnehin hohen Inflationsraten weiter anheizen könnte. Ökonomen hatten vor zu hohen Lohnabschlüssen gewarnt. Steigen Löhne als Reaktion auf die hohe Inflation zu stark, könnte das die Preise weiter nach oben treiben.“
Auch der Sachverständigenrat warnte:
„Die Europäische Zentralbank (EZB) muss trotzdem weiter entschlossen handeln, um eine Entankerung der Inflationserwartungen zu verhindern und die Inflation mittelfristig auf den Zielwert von 2 % zurückzuführen. ZIFFER 149 Das würde dazu beitragen, ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten. Die Kunst dabei wird sein, die Zinsen mit Augenmaß zu erhöhen, um die Inflation wirksam zu bekämpfen, ohne dass die Konjunktur übermäßig einbricht. Flankierende Maßnahmen durch die nationalen Regierungen können dazu beitragen, das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale zu dämpfen. ZIFFERN 151 FF. Da diese Maßnahmen grundsätzlich die Nachfrage erhöhen, könnten sie aber den Inflationsdruck erhöhen und sollten daher möglichst gezielt eingesetzt werden.“
Eine Studie des IWF hat das Vorkommen von Lohn-Preis-Spiralen untersucht. Hier ist der Abstract, der auch schon die Ergebnisse zusammenfasst (übersetzt mit DeepL.com):
„Wie oft sind Lohn-Preis-Spiralen aufgetreten, und was ist in der Folgezeit geschehen? Wir untersuchen dies, indem wir eine Datenbank über vergangene Lohn-Preis-Spiralen in einer Vielzahl von fortgeschrittenen Volkswirtschaften erstellen, die bis in die 1960er Jahre zurückreicht. Wir definieren eine Lohn-Preis-Spirale als eine Episode, in der in mindestens drei von vier aufeinander folgenden Quartalen ein Anstieg der Verbraucherpreise und ein Anstieg der Nominallöhne zu verzeichnen war. Es mag überraschen, dass nur eine kleine Minderheit solcher Episoden von einer anhaltenden Beschleunigung der Löhne und Preise gefolgt wurde. Stattdessen stabilisierten sich Inflation und Nominallohnwachstum, während das Reallohnwachstum weitgehend unverändert blieb. Eine Zerlegung der Lohndynamik anhand einer Lohn-Phillips-Kurve deutet darauf hin, dass sich das Nominallohnwachstum normalerweise auf einem Niveau stabilisiert, das mit der beobachteten Inflation und der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt vereinbar ist. Konzentriert man sich auf Episoden, die das jüngste Muster sinkender Reallöhne und angespannter Arbeitsmärkte nachahmen, so folgen darauf in der Regel ein Rückgang der Inflation und ein Anstieg des Nominallohnwachstums, so dass die Reallöhne aufholen können. Wir kommen zu dem Schluss, dass eine Beschleunigung der Nominallöhne nicht zwangsläufig als Zeichen für das Einsetzen einer Lohn-Preis-Spirale gewertet werden sollte.“
Eine Lohn-Preis-Spirale ist wohl lange nicht so gefährlich, wie sie von manchen Ökonomen gemacht wird. Die Logik, dass steigende Löhne auch die Inflationsrate erhöhen, scheint sich nicht zu bewahrheiten, wenn man auf die Statistiken der Vergangenheit schaut. Natürlich haben Lohnerhöhungen etwas mit Verteilungskampf zu tun, aber sie sind kein Auslöser eines längeren Verteilungskampfes, der dann zu Inflationsepisoden führen würde. Anscheinend haben sich bei einigen Ökonomen Erzählungen eingeschlichen, die nicht auf der Realität beruhen. Ein Blick auf die Daten unten zeigt beispielsweise, dass die erhöhten iInflationsraten in den 1970er Jahren (Ölpreisschocks) keine Folge einer Lohn-Preis-Spirale waren. Die Lohnforderungen gingen von 1970 bis 1980 zurück, ebenso wie die Inflationsrate. In der öffentlichen Erzählung wird häufig behauptet, dass sich Lohn- und Preissteigerungen hochgeschaukelt hätten. Das ist aber mit Blick auf die Abbildung unten nicht der Fall gewesen.
Lohn-Preis-Spiralen sind also im betrachteten Zeitraum (1960-heute) kein Faktor gewesen als Erklärungsgrund für Inflation. Meines Wissens nach gab es sie auch nicht während des 2. Weltkriegs, in der Großen Depression oder in den Goldenen Zwanzigern, an deren Anfang es noch Hyperinflation gab (aufgrund von Schulden in Fremdwährung und eines Generalstreiks mit Lohnfortzahlung). Ob es Lohn-Preis-Spiralen in der Anfangszeit des Deutschen Reichs gab? Die Gründerzeit wäre mir nicht bekannt als Phase, in den hohe Lohnsteigerungen durchgesetzt werden konnten, die zu Inflation führten, die wiederum zu noch höheren Lohnsteigerungen führten. Das ganze Thema Lohn-Preis-Spirale scheint eher ein wirtschaftspolitischer Mythos zu sein als eine ernsthafte Gefahr für die Preisstabilität.