Mariner Eccles über Inflation und Steuern
Seit einigen Jahrzehnnten glauben Zentralbanken, sie könnten mit dem Zins die Wirtschaft ankurbeln und so Inflation erzeugen oder sie abbremsen und somit disinflationieren. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren viele Zentralbanker anderer Meinung. Lagen und liegen sie richtig?
Nach der Senkung des Leitzinses durch die Fed gestern ist es sehr fraglich, wie lange sich die herrschende Zentralbankdoktrin noch halten wird. Die Fed, wie auch andere Zentralbanken, glauben anscheinend, dass Geldpolitik ein potentes Werkzeug ist, um die Wirtschaft zu lenken. Die Energiepreisinflation hat allerdings deutlich gezeigt, dass dies Wunschdenken ist. Die Energiepreise stiegen an, und die Zentralbanken konnten gegen höhere Energiepreise nichts ausrichten. Diese werden nunmal von privaten Unternehmen wie Aramco (Saudi-Arabien) und Gazprom (halb-staatlich, Russland) gemacht. Dass die bei der Preissetzung auf den Leitzins irgendeines Landes schauen, kann sich niemand ernsthaft vorstellen.
Höhere Zinsen der Zentralbank haben schon einen Einfluss auf die Wirtschaft. Steigende Zinsen reduzieren die Rentabilität von langfristigen Investitionen. Und sie erhöhen die Einkommen der Besitzer von Staatsanleihen, da deren Zinsen steigen. Ob der expansive Effekt der Ausweitung der Zinsuasgaben überwiegt oder der kontraktive Effekt eines Einbruchs der privaten Investitionen – sofern es diesen überhaupt gibt – ist nicht von vornherein klar. Immerhin lässt sich in den USA deutlich erkennen, dass steigende Staatsausgaben dazu führen, dass auch die privaten Investitionen wieder ansteigen. Fiskalpolitik ist also wirksamer als Geldpolitik. Dies ist das Ergebnis empirischer Beobachtungen, nicht einer theoretischen Annahme.
Diese Einsicht ist allerdings nicht neu und wird auch heute noch von einer Vielzahl von Ökonomen vertreten. Dabei stehen sie auf den Schultern von Knut Wicksell, John Maynard Keynes, Joan Robinson, Hyman Minsky, Wynne Godley und Co. Aber auch Zentralbanker hatten immer wieder Klarheit über die Dinge. Mariner Eccles ist einer von ihnen. (Beardsley Ruml ist übrigens eine anderer aus derselben Epoche.) Der Präsident der US-amerikanischen Zentralbank sagte in einer Rede im Jahr 1944 folgendes (übersetzt mithilfe von DeepL):
„Der Beitrag, den die Geldpolitik zur Erreichung des Ziels einer maximalen Produktion und Beschäftigung leisten kann, ist begrenzt. Das Bankensystem und der Kapitalmarkt müssen ausreichende Mittel bereitstellen, um den Kredit- und Kapitalbedarf des Landes zu decken. Die bloße Bereitstellung von Mitteln, wie niedrig die Kosten auch sein mögen, wird keine Expansion bewirken, wenn die Unternehmen keinen Markt für ihre erhöhte Produktion vorfinden. Auf der anderen Seite ist die Auswirkung der Steuerpolitik auf die Ausgabenströme viel direkter und stärker. Einnahmemaßnahmen und öffentliche Ausgaben können den Einkommensstrom entweder erhöhen oder verringern. Die Regierung kann ihre Steuer- und Ausgabenpolitik so gestalten und zeitlich abstimmen, dass Schwankungen im Einkommensstrom aufgrund von Schwankungen im Volumen der privaten Ausgaben ausgeglichen werden. Durch eine kluge Politik, die zeitlich richtig abgestimmt ist, kann der Staat somit ein Gleichgewichtsrad sein und einen stabilisierenden Einfluß ausüben, der dazu beiträgt, ein hohes Produktions- und Beschäftigungsniveau aufrechtzuerhalten. Die Besteuerung ist daher weit mehr als nur ein Problem der Deckung des fiskalischen Bedarfs des Fiskus, sie ist auch ein wichtiges Anliegen der nationalen Wirtschaftspolitik.“
Die Bundesregierung wendet diese Einsichten aktuell nicht an. Der Finanzminister behauptet, er könne nur ausgeben, was vorher erwirtschaftet worden wäre. Alternativ behauptet er, er könne nur ausgeben, was vorher durch Steuern eingenommen würde. Diese beiden Behauptungen schließen sich logisch gegenseitig aus. Leider fragt niemand in der Presse kritisch nach, was denn nun richtig wäre. Ein ausgeglichener Staatshaushalt kann sinnvoll sein, aber nicht aus Gründen der Finanzierung sondern weil es grob bedeutet, dass der Staat keine Nettokaufkraft in die Wirtschaft gibt. Seine Staatsausgaben erzeugen Geldeinkommen, welche durch Steuern wieder aus der Wirtschaft entfernt werden. So sagt es auch Eccles (übersetzt mithilfe von DeepL):
„Es kann daher kein Zweifel daran bestehen, daß die Inflationskontrolle während dieser Übergangszeit beibehalten werden sollte. Auf dem Inlandsmarkt werden weiterhin Rationierungen und Preiskontrollen erforderlich sein, und die Kontrolle der Ausfuhrgenehmigungen sollte beibehalten werden* Die Kriegssteuern sollten beibehalten werden, einschließlich der Steuer auf Gewinnüberschüsse*, obwohl es wünschenswert sein könnte, den derzeitigen Satz von 95 % auf z. B. 75 % zu senken, um Effizienz, Sparsamkeit und Produktionssteigerung zu fördern. Die drastische Reduzierung der Ausgaben, die stattfinden wird, rechtfertigt keine verfrühte Senkung der Steuern. Im Gegenteil, es sollte alles getan werden, um zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach dem Krieg einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen.“
Natürlich kann man darüber streiten, ob bei einem ausgeglichenen Haushalt Vollbeschäftigung und Preisstabilität vorherrschen. 1944 war die Wirtschaft der USA im 2. Weltkrieg sicherlich voll ausgelastet. In einer solchen Situation kann es sinnvoll sein, einen ausgeglichenen Staatshaushalt anzupeilen. In einer Situation mit freien Kapazitäten in der Produktion und Massenarbeitslosigkeit, so wie es bei uns seit etwa 50 Jahren ist, wäre hingegen auch Eccles sicherlich nicht der Meinung, dass ein ausgeglichener Staatshaushalt eine gute Idee wäre. Eccles schließt seine Rede mit einem Absatz, der wie folgt eingeleitet wird (meine Hervorhebung, übersetzt mithilfe von DeepL):
„All dem, was ich gesagt habe, liegt das grundlegende Ziel zugrunde, entweder Inflation oder Deflation zu vermeiden - mit anderen Worten, was wir alle anstreben, ist volle und dauerhafte Produktion und Beschäftigung. Die Diskussionen vor diesem Steuerinstitut drehen sich - völlig zu Recht - um die Rolle, die die Besteuerung bei der Erreichung dieses Ziels spielt oder spielen sollte.“