Mehr Wachstum mit Schuldenbremse?

21.02.2024

In der Wirtschaftswoche kommt der Ökonom Niklas Potrafke zu Wort und behauptet, Länder mit Schuldenbremse würden schneller wachsen. Die Studie scheint aber sowohl empirische wie theoretische Mängel zu haben.

Die Wirtschaftswoche hat Niklas Potrafke interviewt zum Thema Schuldenbremse, wobei die Schlagzeile schon vollmundig ankündigt: „Länder mit Schuldenbremsen wachsen stärker“. Hier ist ein kleiner Auszug aus dem Interview (Fett durch mich):

WW: Sie haben 150 wissenschaftliche Studien aus aller Welt analysiert, die sich mit der Wirkung von staatlichen Fiskalregeln beschäftigten. Was ist dabei herausgekommen?

NP: Weltweit haben rund 100 Länder Fiskalregeln, die etwa eine Schuldenaufnahme begrenzen oder Staatsausgaben senken. Die Ergebnisse zeigen: Fiskalregeln verringern hohe Defizite und Schuldenstände. Und Länder mit Schuldenbremsen fallen wirtschaftlich nicht zurück, sondern wachsen sogar stärker. Das Bruttoinlandsprodukt liegt dort langfristig um rund 15 Prozent höher.

Als erstes wäre festzuhalten, dass hier ein klassischer Fall von „bait & switch“ vorliegt. Der Leser wird mit einer Aussage zur *Schuldenbremse* angelockt, und im Text geht es dann um Fiskalregeln. Wo genau der Unterschied liegt wird nicht deutlich gemacht. Da ich die Studie nicht finden kann, vermute ich, dass hier unsauber gearbeitet wurde. Fiskalregeln ist ein deutlich weiterer Begriff als die Schuldenbremse. So haben wir in der Eurozone europäische Fiskalregeln, u.a. die Defizitgrenze von 3 Prozent des BIP.

Zudem ist hier unklar, wie die Kausalität denn verläuft. Wenn eher reiche Länder eine Schuldenbremse einführen, dann ist es auch kein Wunder, dass das BIP dann dort langfristig um 15 Prozent höher liegt. Allerdings geht es dabei nicht um Wachstum, denn die Industrieländer wachsen bekanntlich langsamer als der Rest. Insofern sind Aussagen über das Niveau zu trennen von Aussagen über Wachstumsraten.

Ebenfalls ist wohl nicht berücksichtigt, und das scheint mir der schwerste Mangel zu sein, dass die Schuldenbremse in Deutschland wie auch anderswo ausgesetzt werden kann! Sie war z.B. von 2020-2022 ausgesetzt und ohne die Aussetzung wäre bei uns die Wirtschaft eingebrochen. Das kommt aber anscheinend in der Studie nicht vor. Auf eine Anfrage per e-Mail hat Niklas Potrafke leider nicht geantwortet. Mich würden die Details aus der Studie sehr interessieren, gerade wenn es in den Medien dann derartige Überschriften gibt, die eventuell von der Studie gar nicht gedeckt sind.

Neben diesen empirischen Mängeln, die ich leider nur vermuten kann, weil die Studie nicht vorliegt und ich diese nur auf der Basis des Interviews erahnen kann, gibt es schwere theoretische Mängel. Hier ist der letzte Austausch des Interviews:

WW: Ist auch die umgekehrte Sichtweise zulässig – dass ein Staat, der seine Fiskalregeln abschafft, mit höheren Risikoprämien und Zinskosten rechnen muss?

NP: Ja, natürlich.

Ein Staat hat normalerweise *keine* Risikoprämien bei den Staatsanleihen, weil die Zentralbank diese handelt und immer bereit ist, diese zu einem guten Preis anzukaufen. Das ist in allen Ländern so, die eine eigene Währung haben und keine oder kaum Staatsanleihen in ausländischer Währung begeben haben. Dazu zählen die USA, China und Japan, aber auch GB, Australien, Kanada und die Eurozone. In der Eurozone sorgt die EZB mit ihren Ankaufprogrammen seit 2012 dafür, dass die Staatsanleihen im Preis nicht einbrechen können. Damit steigen auch die Zinsen nicht, wenn der Staat seine Fiskalregeln abschafft. 

Die Zinskosten werden in diesen Ländern durch den Leitzins der Zentralbank vorgegeben, der nachweislich eine Politikvariable ist, die von der Zentralbank bestimmt wird. Wenn die EZB den Zins erhöht, dann steigen die „Zinskosten“ der Bundesregierung. Diese bezahlt allerdings immer mit Geldschöpfung der Bundesbank (i.A. des BMF), so dass eine Zahlungsunfähigkeit nicht möglich ist (wie noch 2010 in Griechenland, als die EZB keine Ankaufprogramme unternahm).

Es ist also festzuhalten, dass das *Aussetzen* der Schuldenbremse die europäische Wirtschaft gerettet hat, denn eine Kürzung der Staatsausgaben hätte in den Pandemie die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen stark reduziert. Damit widerspricht die Realität der Behauptung, dass mit Schuldenbremse eine höheres Wachstum einhergeht. Die Schuldenbremse ist weiterhin eine Schönwetter-Regel, die in guten Zeiten quasi belanglos ist (weil die Steuereinnahmen sprudeln) und in schlechten Zeiten (Steuereinnahmen sind niedrig, Defizit steigt) ausgesetzt werden muss, damit die Wirtschaft nicht in eine Rezession oder Depression getrieben wird. 

Mit der „Tragfähigkeit der Staatsfinanzen“ hat das alles nichts zu tun. Die EZB regelt das auf ihre Weise, so daß z.B. Griechenland 2020 mit einem „Schuldenstand“ von mehr als 210 Prozent problemlos durch die Krise gekommen ist. Das war eine gute Entwicklung, und die Aussetzung der Schuldenbremse war ein Teil dieser Entwicklung. Wirtschaft und Staat brauchen sinnvolle und gute Regeln, aber die Schuldenbremse gehört sicherlich nicht dazu. Das letzte Jahr hat gezeigt, dass Kürzungen der Staatsausgaben in die Rezession führen und 2024 hat bisher gezeigt, dass es ohne erhöhten Staatsausgaben kein Entrinnen gibt.