Reduzieren Zinserhöhungen die Inflation?

10.04.2024

Aktuell läuft die Debatte über die Frage, welche Auswirkungen die Zinserhöhungen der Zentralbanken auf die Wirtschaft hatten. Die Meinungen gehen stark auseinander, wobei die Effekte für unterschiedliche Länder auch unterschiedlich ausfallen.

Wenn die Inflationsraten steigen, muss die Zentralbank die Zinsen erhöhen, um die Inflation wieder zu reduzieren. Dies ist die einhellige Meinung der Lehrbücher, basierend auf der Theorie des Inflationsziels (inflation-targeting). Der Wirkungskanal läuft über die privaten Investitionen. Ein Anstieg der Zinsen, so die Theorie, erhöht die Kapitalkosten. Damit werden einige Investitionsprojekte unrentabel, sofern sich an den anderen Daten nichts ändert. Folglich würden die Investitionen der Haushalte und Unternehmen, u.a. auch in Immobilien, sinken, wenn die Zinsen steigen. Damit sinkt auch die Nachfrage nach Arbeit, was den Lohndruck schmälert. Erkauft wird das aber mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, und die Arbeitslosen werden das nicht witzig finden, dass ihre Arbeitslosigkeit der wesentliche Teil des "Plans" der Inflationsbekämpfung ist. Eine weitere Folge geringerer Investitionen ist die geringere Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Dies sollte den Preisdruck reduzieren, weil die Nachfrage sinkt. Soweit die Theorie.

Während steigende Zinsen nach der Theorie kontraktiv wirken (sie lösen eine Kontraktion der Wirtschaft aus), wirken steigende Staatsausgaben expansiv. Wenn der Staat mehr Geld ausgibt, haben Unternehmen und Haushalte mehr Geld, welches sie dann für Güter und Dienstleistungen ausgeben, zumindest in Teilen. Zudem kann der Staat mit seinem Geld Güter und Dienstleistungen direkt kaufen. Der expansive Effekt höherer Staatsausgaben ist in Theorie und Empirie unumstritten. Niemand würde behaupten, dass steigende Staatsausgaben kontraktiv wären. (Allerdings gibt es Ökonomen, die behaupten, dass sinkende Staatsausgaben expansiv wirken, aber das ist seit der Austeritätspolitik in den 2010er Jahren offensichtlich falsch.)

In den USA haben wir seit einigen Jahren eine Wirtschaftspolitik, in der nach üblicher Lesart die Geldpolitik kontraktiv ist und die Fiskalpolitik expansiv. Die steigenden Zinsen würden also die privaten Investitionen absenken, was die Nachfrage reduziert. Die steigenden Staatsausgaben erhöhen die Nachfrage (nach Gütern und Dienstleistungen und nach Arbeit). Wer die Wirtschaftspolitik so versteht, der wird sich fragen, was der Nettoeffekt dieser Wirtschaftspolitik. Es ist in etwa so wie ein Ruderboot, indem einer nach vorne rudert und einer nach hinten. In welche Richtung bewegt sich das Boot? Die Frage ist allerdings relativ leicht zu beantworten, denn die US-Wirtschaft wächst stark. Paul Krugman schreibt in seiner Kolumne in der NY Times:

"Die Zinserhöhungen erwiesen sich als angemessen, nicht um eine Rezession herbeizuführen, sondern um einen Ausgabenschub auszugleichen, der andernfalls zu einer Inflation geführt hätte."

Damit dieses Argument richtig ist, müssten wir nur noch kurz empirisch überprüfen, ob die privaten Investitionen tatsächlich rückläufig sind und somit Ressourcen freiwerden, die dann für Staatsausgaben zur Verfügung stehen. Hier sind die Zahlen:

Wie wir sehen, sinken die privaten Investitionen nicht. Die Theorie, dass steigende Zinsen zu sinkenden privaten Investitionen führen, ist also empirisch widerlegt. Das heißt nicht, dass steigende Zinsen keine Wirkung hätten. Aber sie haben nun mal gerade nicht die Wirkung, die ihnen nachgesagt wird. Es wird also möglicherweise noch weitere Kanäle geben, wie die Zinsen auf die Wirtschaft wirken und es wird möglicherweise andere Variablen geben, die noch wichtiger sind als der Zins der Zentralbank. Welche Kanäle und Variablen könnten das sein?

Es ist relativ offensichtlich, dass Firmen ihre Preise erhöhen, wenn ihre Kosten steigen. Daher wäre es sinnvoll, auf die Kosten der Firmen zu schauen. Das wären die Kosten für Arbeit (Löhne und Lohnnebenkosten), für Maschinen und Werkzeuge (Kapital), für Energie, für Rohstoffe, für Vorprodukte aus In- und Ausland, für Zinsen (Finanzierung) und für Mieten (Land und Gebäude). Zudem könnten Firmen die Preise erhöhen, um die Gewinne höher ausfallen zu lassen.

Paul Krugman hingegen vertritt eine mechanische Theorie der Inflation. Es ist ganz einfach. Die Wirtschaft ist begrenzt durch das Angebot, welches maximal produziert werden kann. Dieser Potential-Output kann nicht überwunden werden. Wenn die Nachfrage nun steigt, dann ist das wie bei einem Luftballon. Wenn man ihn aufbläst, dann haben wir "Inflation". So sieht Paul Krugman die Nachfrage als entscheidenden Faktor für die Inflation. Ich sehe das nicht so. Das Bild ist viel komplizierter, wie ich im vorherigen Absatz beschrieben habe.

Zudem bin ich nicht der Meinung, dass steigende Zinsen die Nachfrage reduzieren. Die Daten unterstützen meinen Punkt empirisch (und nur darauf kommt es letztlich an, denn Theorie soll Realität erklären). Das Problem in der heutigen Theorie ist, dass die mathematische Modellierung eigentlich nur einen Zinskanal zulässt, nämlich den vermeintlich negativen Einfluss der Zinsen auf die Investitionen. Dieser ist aber empirisch nicht zu beobachten. Der Tritt auf das Bremspedal in den Zentralbanken hat eben nicht in die Rezession geführt, sondern bestenfalls einfach keinen Einfluss gehabt. Die Unternehmen investieren, weil die Nachfrage hoch ist. Höhere Zinsen geben sie über höhere Preise an die Kunden weiter. Zudem haben höhere Zinsen dazu geführt, dass die Reichen noch viel reicher werden: Die Zinszahlungen der Bundesregierung in den USA betragen inzwischen über 1.000 Mrd. $ pro Jahr! Wenn das mal nicht expansiv auf die Wirtschaft wirkt, selbst wenn nur ein geringer Teil dieses Geldes in den Konsum fließt (z.B. in Immobilien, was dann zu höheren Mieten führt).

Die Idee, dass der Zins die wesentliche Stellgröße in der Wirtschaft ist, scheint falsch zu sein. Das ist ein Grund, warum wir Polykrisen haben. Die wirtschaftspolitischen Antworten funktionieren nicht. Und wenn sie funktionieren würden, dann wären wir noch schlimmer dran: Wir hätten dann Inflation und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in den USA gesehen, was wohl die Wahlchance von Donald Trump weiter erhöht hätte. Staatsausgaben gehören ins Zentrum der makroökonomischen Theorie, ihre Höhe ist ein wesentlicher Faktor bei der Bestimmung der Höhe der Beschäftigung. Die Inflationsrate hängt im Wesentlichen von anderen Faktoren ab, die etwas mit den Kosten zu tun haben. Paul Krugman und die Theoretiker des Inflationsziel sehen es genau andersherum. Für sie wird die Inflation durch die Höhe der Nachfrage bestimmt, und die Arbeitslosigkeit von der Höhe der Zinsen (mit höherer Arbeitslosigkeit als Folge von höheren Zinsen). Wir befinden uns mitten in einem Paradigmenwandel der Makroökonomik.