Standard and Poor's stuft Frankreichs Kreditwürdigkeit herab – wirklich?

04.06.2024

Die NZZ titelt, dass Standard & Poor's Frankreichs Kreditwürdigkeit herabstufen würde. Einen derartigen Einfluss haben die Ratingagenturen jedoch gar nicht. Frankreichs Regierung werden die Euros nicht ausgehen, ein Bankrott ist nicht möglich.

Die NZZ meldete gestern:

Auf dem Niveau von Tschechien und Estland: Die Rating-Agentur Standard & Poor's stuft Frankreichs Kreditwürdigkeit herab

Frankreichs Schuldenberg wächst weiter – für Rating-Agenturen ein Grund, die Bonität des Landes zu senken. Die jüngste Ankündigung kommt eine Woche vor den Europawahlen zur Unzeit.

Was erstmal schlimm klingt, entpuppt sich bei genaueren Hinsehen als "Meinungsartikel". Wie auch für die USA gilt für die Regierungen der Eurozone, dass ihnen das eigene Geld (der Euro) nicht ausgehen kann. Der Grund ist das Verhalten der EZB, die "whatever it takes" unternimmt, um die Stabilität des Euro zu garantieren. Und dieses "it" sind die tatsächlichen und impliziten (erwarteten) Ankaufprogramme der EZB. Solange die Investoren davon ausgehen können, dass sie im Falle eines Problems ihre französischen Staatsanleihen an die EZB verkaufen können, sind die Anleihen de facto risikofrei. Denn wenn das französische Finanzministerium sie verkaufen kann, dann wir ihr Konto bei der französischen Zentralbank immer positiv sein und damit wird diese immer Zahlungen im Auftrag des Ministeriums durchführen.

Französsiche Staatsanleihen dienen also dazu, das Konto der französischen Regierung bei der Zentralbank in den positiven Bereich zu bringen, nachdem das Konto aufgrund von Geldschöpfung der Zentralbank zur Bezahlung von Staatsausgaben negativ wurde. Die Regeln der Eurozone erfordern dies, denn eine direkte Staatsfinanzierung ist ausgeschlossen. Die Zentralbanken dürfen also innerhalb eines Tages nur so viel Geld für ihre Regierung schöpfen, wie diese durch Steuern und Staatsanleihenerlöse wieder vernichtet.

Das französische Finanzministerium verkauft übrigens Staatsanleihen nur an diese Banken (Stand 2022):

  • BANK OF AMERICA SECURITIES (BofA Securities Europe SA),
  • BARCLAYS (Barclays Europe Plc),
  • BNP PARIBAS (BNP Paribas SA),
  • CITI (Citigroup Global Markets Europe AG),
  • COMMERZBANK (Commerzbank AG),
  • CRÉDIT AGRICOLE - CIB (Crédit agricole - CIB SA),
  • DEUTSCHE BANK (Deutsche Bank AG),
  • GOLDMAN SACHS (Goldman Sachs Bank Europe SE),
  • HSBC (HSBC Continental Europe SA),
  • JP MORGAN (J.P. Morgan SE),
  • MORGAN STANLEY (Morgan Stanley Europe SE),
  • NATIXIS (Natixis SA),
  • NATWEST MARKETS (Natwest Markets NV),
  • NOMURA (Nomura Financial Products Europe GmbH),
  • SOCIÉTÉ GÉNÉRALE (Société générale SA).

Diese bezahlen mit Guthaben bei der Zentralbank. Haushalte und Unternehmen können kein Guthaben bei der Zentralbank halten. An dieser Stelle wird sehr deutlich, dass die Steuerzahler nicht den Staat "finanzieren". Es ist genau andersherum: der Staat finanziert die Steuerzahler. Seine Ausgaben erzeugen Einkommen bei den nicht-staatlichen Akteuren, welche das Geld zirkulieren lassen, bis es über Steuern (engl.: tax revenues) und Staatsanleihenverkäufe (engl.: bond revenues) wieder zum Staat zurückkehrt (frz.: revenu). Was Standard & Poor's zur "Kreditwürdigkeit" von Frankreich sagt, ist eine Meinung und wird keine Folgen haben für den französischen Staat.

Die NZZ sieht das ähnlich, macht jedoch im Hintergrund einen Marktprozess mit Angebot und Nachfrage nach Staatsanleihen aus:

"Tatsächlich dürften die unmittelbaren finanziellen Auswirkungen für das Land gering sein. Zwar haben Rating-Agenturen theoretisch die Aufgabe, die Bedingungen festzulegen, zu denen ein Land Kredite aufnehmen kann. Doch grosse Investoren wie Banken, Versicherer und Investmentfonds haben ihre eigenen Analysten, die zu anderen Schlüssen kommen können. Zudem ist die Nachfrage nach Staatsanleihen derzeit hoch."

Die Nachfrage nach Staatsanleihen wird immer ausreichend sein. Schließlich werden nur dann Staatsanleihen verkauft, wenn die Staatsausgaben über den Steuereinnahmen liegen. Die Differenz ist neue Geldschöpfung in Form von Guthaben der Banken bei der Zentralbank. Solange der Zins auf Staatsanleihen bzw. deren Verzinsung über dem Einlagezins der EZB liegt müssen die Banken Staatsanleihen kaufen, denn das erhöht ihren Gewinn. Eine zu geringe Nachfrage nach Staatsanleihen ist also praktisch ausgeschlossen. (Dies gilt umso mehr, als dass es alle möglichen institutionellen Prozesse gibt, welche den Anreiz erhöhen, dass Banken Staatsanleihen halten. Sollte es wieder erwarten doch mal zu wenig Nachfrage geben, kann der französische Staat die Gesetz und Institutionen so anpassen, dass die Nachfrage wieder stimmt.)

Die Angstmache vor staatlichem Defizit und "Staatsschulden", die in der NZZ verbreitet wird, ist reine Ideologie und dient dazu, den Staat klein zu halten. Davon profitieren einige wenige, während sehr viele dadurch geschädigt werden. Die steigende Ungleichheit der Einkommen und Vermögen ist u.a. eine direkte Folge des "Schuldenwahns" in weiten Teilen der Presse. Insofern werden hier vermeintliche ökonomische Sachzwänge vorgegaukelt, wo eigentlich keine sind. Die Eurozone ist finanziell stabil, und erst eine Änderung der jetzigen Haltung der EZB würde zu fiskalischen Problemen führen. Dafür gibt es allerdings keinerlei Anzeichen.