SVB – Über Geldpolitik und Bankenbeben

21.03.2023

Die staatliche Schließung der Silicon Valley Bank (SVB) hat Erinnerungen an die globale Finanzkrise von 2008/09 geweckt. Allerdings geht es jetzt nicht um faule Kredite an Haushalte und Unternehmen, die in Immobilien investierten, sondern um die Bewertung von Staatsanleihen in einer Bankbilanz.

Die Silicon Valley Bank wurde von den staatlichen Regulierungsbehörden am 10. März 2023 geschlossen. Grund dafür war eine drohende Überschuldung: Die Höhe der Verbindlichkeiten der Bank drohte die Höhe der Forderungen zu übersteigen. Ein „bank run” (Schaltersturm) war schon in vollem Gange, als die Behörden eingriffen und die Türen schlossen. Was ist passiert? Um das zu klären, stellen wir uns erstmal dumm:

Was ist eine Bank?

Eine Bank ist eine Institution, welche als staatlicher Agent Kreditanalyse betreibt. Er kauft Unternehmen und Haushalten ihre jeweiligen Zahlungsversprechen (die Tilgung) mit eigenen Zahlungsversprechen in staatlicher Währung (Euro) ab, die wir unter dem Namen „Giralgeld” oder auch “Bankguthaben” kennen. Im Gegensatz zur Zentralbank, die das Monopol auf die staatliche Geldschöpfung hält (bei uns das Eurosystem, also EZB und nationale Zentralbanken) können Banken also nur „Geld“ in Form von Guthaben in staatlicher Währung schöpfen. Dies ist auch der Grund, warum die Banken insolvent gehen können und die Zentralbanken nicht. Letztere können immer neues Geld in Umlauf bringen in Form von Guthaben von Banken. Banken hingegen können „nur” Geld in Form von Zahlungsversprechen an die Kunden schöpfen. Dieses Geld ist aber aus Sicht der Banken eine Verbindlichkeit. (Eine ausführliche Erklärung der Geldschöpfung in der Eurozone findet sich in meinem Buch „Geld und Kredit: Eine €-päische Perspektive” (Link).)

Wenn wir (Haushalte) einen Kredit bei einer Bank aufnehmen, dann leihen wir uns also kein Geld in dem Sinne, dass wir vorhandenes „Geld” leihen. Stattdessen wird nach Unterzeichnung des Kreditvertrags die Bank das Guthaben auf dem Konto des Kreditnehmers erhöhen. Dabei handelt es sich um Zahlungsversprechen, denn die Bank verspricht ja, dass wir mit unseren Euro-Guthaben Zahlungen durchführen können. Dazu können wir von der Bank Bargeld abheben und die Zahlung selber durchführen oder die Bank wickelt die Zahlung für uns ab, wenn wir eine Überweisung vornehmen. Ist der Empfänger bei der gleichen Bank, dann erhöht die Bank dessen Konto und reduziert unser Konto. Ist dies nicht der Fall, muss die Bank in den Zahlungsausgleich und entweder mit Guthaben bei der Zentralbank zahlen, Zahlungen aufrechnen oder die Zahlung in die Zukunft verschieben (Kredit).

Die Bank bettelt beim Staat, nicht andersherum

Um also das Zahlungsversprechen der Banken umsetzen zu können, sind diese auf Bargeldversorgung und Nutzung des Zahlungssystems (TARGET2) angewiesen – dabei handelt es sich um staatliche Institutionen. Wir halten also fest, dass die Banken auf fundamentaler Ebene auf den Staat angewiesen sind und nicht andersherum. Der Staat ist Schöpfer des Geldes, wobei er meist das Monopol der Geldschöpfung seiner Zentralbank übertragen hat. Sowohl für Überweisungen mit Zahlungsausgleich wie auch für den Umtausch von Bargeld brauchen Banken Guthaben bei der Zentralbank. Wie kommen sie da dran? Die Zentralbank erklärt, welche Sicherheiten sie akzeptiert. So können Banken bei der Zentralbank Reserven (Guthaben) leihen, gegen einen entsprechenden Zins.

Die wichtigste Aufgaben der Zentralbank sind also die Bereitstellung des Zahlungssystems und die Versorgung mit Bargeld. Dazu kommen noch die Durchführung von Zahlungen der jeweiligen Bundesregierung und das Wirken als „Lender of Last Resort”, um die Banken in einer Krise zu stabilisieren. Geldpolitik als Ziel ist hingegen relativ neu und erst seit etwa 100 Jahren verändern die Zentralbanken den Zins, um auf die Wirtschaft einzuwirken.

Die Überlebensrestriktion der Banken

Die Banken bekommen vom Staat mit der Geldschöpfungsmöglichkeit – Achtung, es geht hier um Bankguthaben in Euro und nicht um Euro selbst – ein Privileg eingeräumt, welches sehr profitabel ist. Schließlich erlaubt es den Banken, über Kreditvergabe an Haushalte und Unternehmen Milliardenbeträge zu „erwirtschaften“. (Ob es sich dabei tatsächlich um Wertschöpfung oder aber um Wertabschöpfung handelt ist Bestandteil einer wissenschaftlichen Debatte.) Der Staat möchte nicht, dass Banken über Kredite Zahlungsversprechen in Umlauf bringen, die dann nicht wieder durch Tilgung der Kredit vernichtet wird. Erstens ist es ungerecht, wenn im privaten Sektor einige Haushalte oder Unternehmen Bankguthaben bekommen, welches sie nicht zurückzahlen (müssen). Zweitens könnte Inflation resultieren, wenn Banken ständig mehr neue Bankguthaben schöpfen als durch Tilgung von Krediten wieder vernichtet werden.

Aus diesen Gründen reguliert der Staat die Banken. Er schreibt ihnen alle möglichen Bedingungen vor, die sie vor Betrieb und im Betrieb erfüllen müssen. Eine dieser Bedingungen ist, dass der Wert aller Forderungen den Wert aller Verbindlichkeiten übersteigen muss. Die Idee dahinter ist, dass die Bank „solvent” sein soll. Sie soll einen Schaltersturm überstehen, weil sie mehr Forderungen hat als Verbindlichkeiten. Mit anderen Worten: sie hat ein positives Eigenkapital (grob: Forderungen minus Verbindlichkeiten). Wenn also Kunden massenhaft Guthaben in Bargeld umwandeln wollen, dann kann die Bank sich gegen ihre Forderungen, welche sie als Sicherheiten einsetzt, sich von der Zentralbank Bargeld leihen und dieses dann auszahlen. Die Zentralbank agiert dann quasi als „Lender of Last Resort”, gerade wenn andere Banken dieser Bank keine Reserven mehr leihen.

Was lief schief bei der Silicon Valley Bank?

Die SVB ist eine etwas besondere Bank, denn sie hat ziemlich viele Kunden aus dem Silicon Valley (im Süden von San Francisco). Die Unternehmen dort bekommen teilweise sehr viel Geld auf ihr Konto gezahlt, wenn sie an die Börse gehen oder eine Finanzierungsrunde erfolgreich abschließen. Das bedeutet, dass die SVB immer deutlich mehr Bankguthaben hat als Kredite. Bilanziell bedeutet dass, das die SVB auf der Seite der Forderungen Kredite an den privaten Sektor (Haushalte und Unternehmen) sowie Guthaben bei der Zentralbank (Reserven) ausweist und auf Seite der Verbindlichkeiten Bankguthaben. Solange die Zinsen der Kredite und die Verzinsung der Reserven höher ist als die Verzinsung der Bankguthaben ist alles in Ordnung. Dabei setzt die Bank selbst zwei dieser drei Zinssätze, nämlich die Kreditzinsen und die Guthabenzinsen. Die Verzinsung der Einlagen bei der Zentralbank (Federal Reserve Bank) bestimmt hingegen die Geldpolitik.

Die Niedrigzinsen in der Coronapandemie haben dabei SVB dazu verführt, mit den zu null verzinsten Reserven Staatsanleihen zu kaufen, die höher verzinst wird. Das ganze folgt der Idee der (kurzfristigen) Profitmaximierung. Statt Zentralbankguthaben zu halten, die keinen Zins abwerfen, kauft die SVB Staatsanleihen, die positiv verzinst sind. Allerdings steigen die Zinsen mit der Laufzeit, und um deutlich positive Zinsen zu erzielen musste die SVB Staatsanleihen mit mehrjährigen Laufzeiten kaufen. 2020 und 2021 rechnete anscheinend dabei niemand mit einem zukünftigen Anstieg der Zinsen, denn dieser hat die SVB ausgelöscht.

Zinsen, Staatsanleihenpreise und Buchhaltung

Die SVB kaufte also in den letzten Jahren Staatsanleihen im Umfang von mehreren Milliarden Euro. Dieser Posten tauchte entsprechend auch in der Bilanz auf, bewertet zu Marktpreisen. Niedrig verzinste Staatsanleihen waren in einem Umfeld niedriger Zinsen relativ attraktiv und ihr Preis daher entsprechend hoch. Dann aber änderte sich das Umfeld. Die Federal Reserve erhöhte als Reaktion auf die steigenden Inflationsraten ihre Zinssätze. Damit erhöhten sich auch die Zinsen auf neue Staatsanleihen. Das passiert automatisch, weil sonst die Banken keine Staatsanleihen mehr kaufen. Wenn Banken ihre Reserven bei der Fed mit mit 4,65% verzinst (Link), dann wird eine 10-jährige Staatsanleihen mit einer Verzinsung von 3% relativ unattraktiv. Da Staatsanleihen gehandelt werden, fällt ihr Preis. Wer sollte schon eine Staatsanleihe kaufen, die 1,65% weniger Zins bringt als „Nichtstun”? Erst wenn der Preise der Staatsanleihe sinkt, wird sie wieder Käufer finden. Eine Staatsanleihe mit einer Laufzeit von zehn Jahren und einem Nennwert von 100 Millionen $ wird also am Markt für weniger als 100 Millionen Dollar gehandelt. So bekommt der Käufer nicht nur den Zins, sondern auch noch eine Prämie, weil er nicht 100 Millionen $ zahlt für die Rückzahlung von 100 Millionen $ sondern nur, sagen wir, 90 Millionen $. 

Auf diese Art und Weise schwanken alle Preise von Staatsanleihen je nach aktuellem Zins im Preis. Diese Preisschwankungen sind zwar am Markt relevant, aber die Besitzer der Staatsanleihen können ja einfach Marktpreise ignorieren und die Staatsanleihen bis zur Fälligkeit halten („hold to maturity”). Wer also für 100 Millionen $ eine Staatsanleihe gekauft hat mit einer Verzinsung von 3%, der wird keinen Verlust realisieren – am Ende gibt es das Geld zurück plus den Zins. Der Marktpreis drückt lediglich aus, dass die Anleihe relativ unattraktiv ist. Eine Bedrohung für eine Bank ist das aber nicht – eigentlich. Das Problem für die Banken wie die SVB ist, dass sie die Staatsanleihen zu Marktpreisen bewertet („mark to market”) in die Bilanz schreiben. Damit sinken die Forderungen und die Restriktion, dass der Wert der Forderungen den Wert der Verbindlichkeiten übersteigt (positives Eigenkapital), ist schwerer zu erfüllen. Die SVB musste so einen Verlust von 1,8 Mrd. $ hinnehmen, nachdem sie ihr Portfolio an Staatsanleihen neue bewertete.

Warum hohe Zinsen?

Die SVB wurde also Opfer der steigenden Zinsen, mit denen sie aber hätte rechnen müssen. Die Zentralbanken nutzen Zinserhöhungen als Standardinstrument, um Inflation zu bekämpfen. Die offizielle Logik ist die, dass höhere Zinsen dazu führen, dass private Investitionsprojekte unrentabel werden (da die Zinskosten steigen). Wenn dann weniger investiert (gebaut) wird, sinkt erstens die Nachfrage nach Güter und Dienstleistungen und zweitens der Lohndruck (aufgrund der höheren Arbeitslosigkeit). Beides soll dazu führen, dass die Inflation sinkt. Allerdings gibt es bei dieser Logik gleich mehrere Probleme.

Erstens reagieren viele Unternehmen auf steigende Zinsen, indem sie ihre Preise anheben. Dann sind auch die Investitionsprojekte rentabel und werden durchgeführt. Wer will schon bei starker Nachfrage die Kunden der Konkurrenz überlassen, die zudem ebenfalls steigende Zinsen erfährt? Höchstens im Bereich der Immobilien führen steigende Zinsen kurzfristig zu sinkenden Preisen, wobei es auf die Frage ankommt, ob Immobilien finanziert werden oder mit Ersparnissen gekauft. Wie dem auch sei, die heutige Inflationsdynamik geht auf steigenden und seit ein paar Monaten wieder fallende Energiepreise zurück. Warum sollten steigende Zinsen da irgendetwas bringen? Zusätzlich zu den beschriebenen Problemen wirken diese ja auch noch expansiv, da nun die Zinszahlungen des Staates an die Besitzer der Staatsanleihen steigen. Wenn diese auch nur einen Teil ihres Zinseinkommens verkonsumieren, steigt die Nachfrage.

Geldpolitik mit Nebenwirkungen?

Steigende Zinsen führen also aktuell dazu, dass die Portfolios an staatlichen Anleihen sich entwerten. Dies wird die Institutionen finanziell unter Druck setzen. Eigentlich ist das zumindest offiziell gar nicht Sinn der Sache, aber wer einen Blick in die Geschichte wirft, sieht haufenweise Finanzkrisen in der Folge von Zinserhöhungen. 

Die letzte größere Zeit der Zinserhöhungen waren die 2000er Jahre, als die Zinserhöhungen in einen Immobilienmarktcrash mit folgender globaler Finanzkrise mündeten. Davor folgte auf die Zinserhöhungen Ende der 1990er Jahre der „dot-com crash“. Anscheinend gehen Zinserhöhungen nicht ohne finanziellen Kollateralschaden ab. Die Frage ist, ob eine solche Variation des Zinses zur Inflationsbekämpfung dann überhaupt noch einen Sinn ergibt. Die Daten zeigen auf, dass niedrige Zinsen (blau) gar nicht mit hohen oder steigenden Inflationsraten (rot) korrelieren und hohe nicht mit niedrigen oder fallenden.

Zinsen und Inflationsraten korrelieren also positiv statt negativ – die Theorie der Zentralbanken scheitert in und an der Realität.

Was lernen wir aus dem Fall SVB?

Der Zusammenbruch der SVB war die Folge der Geldpolitik. Dass es Banken erwischen würde, war vorhersehbar. Nun wurde es die SVB. Andere Banken werden folgen. Da der Staat über die Einlagensicherung sowieso alle Banken absichert, stellt sich an dieser Stelle, ob die Zinserhöhungen mit den Bankenproblemen eigentlich irgendeinen Sinn ergeben. Soll über Bankenpleiten die Inflation bekämpft werden, da danach weniger Kredite vergeben werden? Wenn die ganze Sache keinen Sinn ergibt, gäbe es Lösungen für dieses Problem.

Der Staat könnte z.B. in den USA eine Einlagensicherung in beliebiger Höhe aussprechen, so wie es bei uns Merkel und Steinbrück 2008 taten. Damit entfiele der Anreiz, Bankguthaben von der SVB und anderen Instituten abzuziehen. Oder aber die Buchhaltungsregeln werden so angepasst, dass Staatsanleihen nicht mehr „mark-to-market” bepreist werden. Die Zentralbank kann zudem die Staatsanleihen in vollem Auszahlungswert als Sicherheit akzeptieren, so dass die Banken einfacher an Reserven kommen und im Falle eines Schaltersturms nicht gezwungen sind, ihr gerade niedrig bewertetes Portfolio an Staatsanleihen zu verkaufen.

Fiskalische Lösungen

Alternativ könnte der Staat nur noch Staatsanleihen mit einwöchiger Laufzeit herausgeben – oder auf die Herausgabe von Staatsanleihen komplett verzichten. Dadurch würden Banken einfach nur den Einlagezins ihrer Zentralbank kassieren, eine „Bewertung” von Staatsanleihen entfiele. Reserven sind Reserven, ihr Wert ändert sich nicht bei sich verändernden Zinsen.

Ebenfalls eine Lösung könnte es sein, den Zins der Zentralbank „zu parken”. Die Fed könnte ihn beispielsweise permanent auf das Inflationsziel von zwei Prozent festlegen. Der Zugewinn an Preisstabilität und finanzieller Stabilität würde den Nachteil der fehlenden Flexibilität ja vielleicht wettmachen – wenn man überhaupt davon ausgeht, dass Geldpolitik „funktioniert”.

Die SV zeigt, dass wir für das 21. Jahrhundert unsere Geld- und Fiskalpolitik überdenken sollten. Wir sind immer noch nicht raus aus der Bevorzugung von Geldpolitik und privaten Schulden, obwohl doch Fiskalpolitik und Staatsschulden sich in der Pandemie als der große Retter erwiesen haben. Die Diskussion über die richtige Wirtschaftspolitik, die wir in der Folge der Finanzkrise von 2008/09 hätten haben sollen, fängt also erst jetzt so richtig an.