Thorsten Polleit über des Teufels Geld

19.08.2024

Der ehemalige Chefökonom eines Goldhandels hat ein Buch über „des Teufels Geld geschrieben“. Wenig überraschend kommt Papiergeld dabei schlecht weg. In diesem Beitrag setze ich mich mit den knapp 5 Seiten zu MMT auseinander.

Die Auseinandersetzung mit Kritik an der MMT ist immer zeitaufreibend und meist auch nervenaufreibend. Das liegt daran, dass viele Ökonomen die Methode der MMT nicht verstehen, weil sie ihr Leben lang davon ausgegangen sind, dass das Aufstellen von Annahmen und deren Übersetzung in ein mathematisches Gleichgewichtsmodell „Theorie“ und damit Wissenschaft darstellt. Die Beschreibung der Geldschöpfung mittels Bilanzen erscheint ihnen fremd, was zu vielen Missverständnissen geführt hat und weiter führen wird. Es ist nicht möglich, dass eine neue Theorie mit dem Vokabular der alten Theorie auskommt – dann wäre sie keine neue Theorie!

Schwieriger noch wird die Auseinandersetzung bei Autoren, deren eigenen finanzielle Interessen der MMT diametral entgegenstehen. So ist es beim ehemaligen Chefökonomen eines Goldhandels kaum anzunehmen, dass er an Wissenschaft interessiert ist, wenn diese darauf deutet, dass Fiatgeldsysteme besser sind als Fiatgeldsysteme mit „Golddeckung“ (die in jeder Krise aufgehoben wird). Degussa, der Arbeitgeber von Thorsten Polleit, wurde von Jan Böhmermann kritisiert, weil diese sich wohl ein rechtes politisches Netzwerk aufbauten. Daraufhin gab es Veränderungen bei Degussa, auch Polleit nahm dabei seinen Hut. Mir geht es hier um eine Auseinandersetzung mit den Argumenten aus seinem Buch „Des Teufels Pakt: Der faustische Fiatgeld-Pakt - wie wir ihn kündigen und zu gutem Geld zurückkehren“. Das Buch wurde 2023 veröffentlicht, als die Inflationsraten noch etwas höher waren. Inzwischen sind wir „zu gutem Geld zurückgekehrt“, könnte man meinen. Die erhöhten Inflationsraten hatten nichts mit dem Geldsystem zu tun, sondern etwas mit steigenden Energiepreisen nach der Pandemie.

In Kapitel 4 beschäftigt sich Polleit in einem Unterkapitel mit der MMT ()S. 130 ff.. Er beginnt mit einem Zitat von Marx und Engels und rückt damit die empirische Theorie der MMT gleich in eine polit-ideologische Ecke. Er verortet sie in den USA „im linken Lager der Demokratischen Partei“. Das ist zwar richtig, tut aber nichts zur Sache – es geht hier ja um Wissenschaft, und nicht um Politik. Die Wissenschaft aber hätte auf die MMT mit Kritik und Ablehnung reagiert. Das sollte allerdings niemanden überraschen, denn neue Theorien stoßen bei der Entwicklern und Anhängern der alten Theorie immer auf Widerspruch, was in der Natur der Sache liegt.

Polleit frickelt an dem Begriff „modern“ herum, weil er anscheinend nicht mitbekommen hat, dass „modern money“ von Keynes (1930) beschrieben wurde und sich die „Modern Money Theory“ darauf in ihrem Namen beruft. Keynes stellt in „Vom Gelde“ fest, dass alle „modernen“ Staaten Papiergeld nutzen würden, welches durch Steuern angetrieben (nicht: gedeckt) wird. Die MMT ist allerdings kein „Patchwork“, so wie von Polleit bezeichnet, sondern hat einen „harten Kern“, um den herum andere theoretische Elemente angeordnet sind. Polleit beschreibt dann die MMT. Während die ersten Sätze noch ganz gut wiedergeben, was die MMT behauptet, schleichen sich dann Missverständnisse ein. U.a. behauptet Polleit: „Sollte es Güterpreisinflation geben, wird sie eingefangen, indem die Staatsdefizite verringert und/oder die Geldmenge in den Händen der Privaten per Besteuerung reduziert werden“. Das ist sicherlich keine MMT-Sicht, denn die MMT betont, dass das staatliche Defizit gar nicht unter der Kontrolle der Bundesregierung ist. Steuern reduzieren zwar die Inflation im Großen, da sie Kaufkraft aus den Händen der Bevölkerung nehmen, aber das bedeutet nicht, dass nach der MMT Inflationssteuerung über Steuersatzveränderungen laufen sollte.

Auch beim nächsten Punkt irrt Polleit: „Gibt er [der Staat] beispielsweise in einer Phase der Konjunkturschwäche mehr aus, als er an Steuern einnimmt, beschafft er sich den Fehlbetrag durch neu geschaffenes Zentralbankgeld“. Die MMT besagt aber, dass *alle* Staatsausgaben durch neu geschaffenes Zentralbankgeld bezahlt werden, weil diese Kontostände der Banken erhöht. MMT besagt darüber hinaus, dass der Staat erst Geld ausgibt und später wieder über Steuerzahlungen zurückbekommt. Polleit weiter: „Die Menge des zusätzlichen Zentralbankgeldes im Interbankenmarkt steigt daraufhin an und senkt den Zins ab – und das wiederum befördert Investitionen“. Zwei Aussagen, getrennt durch einen Gedankenstrich, die beide nicht der MMT zuzuordnen sind. Die MMT beschreibt ja gerade, dass staatliche Ausgaben zwar zu mehr Reserven führen (das hat Polleit richtig erkannt), die Zentralbank dann aber tätig wird, um den Zins zu kontrollieren. Sie verkauft dafür Staatsanleihen an Banken, um den Zins stabil zu halten. Und selbst wenn der Zins fallen würde: die MMT sieht den Zins als relativ wirkungslos an. Ein steigender bzw. hoher Zins kann dabei über Zinsausgaben via Staatsanleihen sogar expansiv wirken, weil zusätzliche Einkommen geschaffen werden wie jüngst in den USA. Ein niedriger Zins wirkt nicht, wenn die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen nicht da ist, um Investitionen überhaupt notwendig zu machen.

Polleit rückt die MMT dann in die Nähe des „national-sozialistischen Wirtschaftstheorie-Autodidakten Gottfried Feder“, dem zufolge „der Staat nicht nur die Hoheit über die Geldproduktion haben, er soll vor allem auch ungehindert Zugang zu neuem Geld bekommen, das die Zentralbank ihm möglichst zinslos bereitstellt“. Diese Ausführungen verwundern, denn die Eurozone hat in den 2010er-Jahren genau diese Wirtschaftspolitik praktiziert. Der Zins lag bei null, und Mario Draghis Worte „whatever it takes“ bedeuteten de facto, dass einer nationalen Regierung der Eurozone das Geld nicht ausgehen würde (was die Defizitregeln der EU nicht berührt). An dieser Stelle wird ziemlich deutlich, dass Polleit hier keine Wissenschaft betriebt, sondern Politik. Er sucht sich passende Versatzstücke, um die MMT zu verreißen, und übersieht dabei andere Versatzstücke, die ihm nicht in seine Ideologie passen. Natürlich ist der Abstand zwischen MMT und EZB zu „national-sozialistischen Wirtschaftstheorie-Autodidakten“ riesig. Polleit hingegen hat für die „Junge Freiheit“ geschrieben, ein sehr „konservatives“ Blatt.

In den weiteren Abschnitten geht es so weiter. Polleit behauptet unter anderem: „Hochinflation, wenn nicht gar Hyperinflation, werden daher die unausweichlichen Begleiterscheinung einer Umsetzung der MMT sein“. Was eine „Umsetzung der MMT“ wäre, erklärt er leider nicht – es gibt sie allerdings auch gar nicht. Die MMT ist eine Theorie, die Geldschöpfung erklärt und darüber hinaus makroökonomische Phänomene (Arbeitslosigkeit, Inflation, Höhe des staatlichen Defizites, etc.). Basierend auf dem Verständnis der MMT können dann wirtschaftspolitische Ideen entwickelt werden, umsetzen allerdings lässt sich die Theorie nicht, da es sich um eine Erklärung handelt und kein wirtschaftspolitische Manifest. Apropos Manifest: Polleit tobt auf S. 133 dann noch herum über „linke Eiferer“ und schwadroniert über das „Lager der Kollektivisten-Sozialisten-Marxisten“ (was ist mit der Sozialdemokratie?). Die „Hochinflation“ schreibt er der MMT zu: 

„Mittlerweile tritt jedoch die dunkle Seite der wachsenden Staatsverschuldung, die von Zentralbanken à la MMT mit neu geschaffenem Geld bereitwillig finanziert wird, schonungslos zutage – und zwar in Form der Hochinflation.“

Heute kann man über derartige Sätze nur noch müde Schmunzeln. Der FDP-Finanzminister hat durch seine Sparpolitik dafür gesorgt, dass die Wirtschaft zwar schwächelt, aber mit einem leichten fiskalischen Überschuss – die Staatsverschuldung sinkt. Das tut übrigens auch die Inflation, allerdings unabhängig von der sinkenden Staatsverschuldung. In den USA beispielsweise geht sie genauso zurück wie in Deutschland, obwohl die Regierung Biden sehr viel Geld in die Hand genommen hat und das staatliche Defizit dort über 1.000 Mrd. $ erreicht.

Und so bleibt denn auch von den 5 Seiten nicht viel an Erkenntnis übrig. Schon 2024 wirkt das Buch veraltet, die Horrorszenarien sind nicht eingetreten, das Problem der „Hochinflation“ hat sich erledigt. Die Auseinandersetzung mit der MMT ist keine, Polleit baut einen Strohmann auf, denn er dann heftig attackiert. Dass er dabei weitestgehend politisch wird und unter der Gürtellinie attackiert (Nähe zur Wirtschaftstheorie eines Nazi-Autodidakten) zeigt, dass er keine wissenschaftlichen Argumente hat. Im Übrigen ist es völlig belanglos, ob irgendwelche Nazis mal Politikvorschläge hatten – das ist kein Grund, Autobahnen abzulehnen oder Nichtraucher als Hitler-Verehrer zu beschimpfen.

Um die gesellschaftlichen Probleme anzugehen, bedarf es guter Wirtschafts- und Sozialpolitik. Mit dem aktuellen Geldsystem ist das (fast) machbar. Die knappen Mittel beim Staat sind lediglich eine Folge der Schuldenbremse und der Defizitregeln der EU. Hier müssten wir ansetzen, wenn wir unsere Probleme lösen wollen, die den vermehrten Einsatz von Ressourcen durch den Staat erfordern: Aufbau einer nachhaltigen Infrastruktur, Investitionen in öffentliche Aufgaben und Anpassung an den Klimawandel. Mit Goldmünzen ist das alles nicht zu bezahlen.