Über Sinn und Unsinn der Europäischen Schuldenregeln

17.02.2023

Das "fiscal framework" der EU soll reformiert werden. Die Entscheidung wird die Zukunft der Eurozone prägen. Während die einen mehr Staatsausgaben wollen, wollen andere „nachhaltige Staatsschulden”. Die Quadratur des Kreises?

Der EU-Kommissar für Wirtschaft, Paolo Gentiloni, sagte jüngst der FT, dass die Fiskalregeln der EU nicht „fit for purpose” wären. Es hieß (übersetzt mit DeepL):

„Wenn man zur normalen, früheren Situation zurückkehrt, ist das meiner Meinung nach keine gute Botschaft für unsere Länder und für die Wirtschaft", sagte der Kommissar in einem Interview. Die Union, so fügte er hinzu, "sollte über Fiskalregeln verfügen, die als zweckdienlich angesehen werden, und die bestehenden sind nur teilweise zweckdienlich - und darin sind sich alle einig". Die Kommission hat im November Vorschläge vorgelegt, um den verworrenen EU-Haushaltspakt zu vereinfachen und den einzelnen Staaten mehr Eigenverantwortung für die Pläne zum Schuldenabbau zu übertragen."

Was ist das Problem? Die Fiskalregeln behindern die Wirtschaftspolitik der EU und insbesondere das Ziel der Vollbeschäftigung. Aus diesem Grund ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt aktuell ausgesetzt. Hätten wir die Defizitgrenzen immer noch aktiv, dann hätten die Regierungen der Eurozone während der Pandemie gnadenlose Sparprogramme durchsetzen müssen. Das Resultat wären Massenarbeitslosigkeit und Armut gewesen sowie eine Disruption in der Wirtschaft, da Arbeitskräfte und Unternehmen getrennt worden wären. Wie schwierig es ist, diese wieder zusammenzusetzen, haben wir inzwischen alle begriffen.

Das wirtschaftspolitische Resultat des Aussetzens der Fiskalregeln ist eine Arbeitslosenquote in der Eurozone, die noch so niedrig war. Das Aussetzen war also eine sehr wichtige und richtige Entscheidung. Auch wenn die Arbeitslosenquote auf Rekordtief liegt, ist ihr Niveau eigentlich immer noch zu hoch. Wie die Daten zeigen, liegt die Arbeitslosenquote immer noch über 6 Prozent (Quelle: FRED).

Die erhöhten Inflationsraten gehen sicherlich nicht auf die niedrige Arbeitslosigkeit zurück, Schuld sind hier steigende Energiepreise und, wenn man dem ifo Institut aus München glauben mag, Preiserhöhungen von Unternehmen ohne entsprechende Kostenerhöhungen. 

Vor diesem Hintergrund irritieren Aussagen aus dem Bundesministerium für Finanzen in Berlin wie diese (Quelle: Twitter):

Nur wenn es verbindliche und unstrittige Regeln zur Begrenzung und Reduzierung von Staatsdefiziten gibt, bleibt die EU belastbar und stabil.

Das Handelsblatt berichtete jüngst:

„Durch die vielen Krisen sind die Schuldenstände vieler EU-Staaten jedoch auf mehr als 100 Prozent gestiegen, die Schuldenobergrenze ist damit überholt. Müsste Italien wie jetzt vorgeschrieben innerhalb von 20 Jahren die Schuldenobergrenze einhalten, müsste das Land so stark sparen, dass es im schlimmsten Fall zu sozialen Unruhen kommen könnte.“

Im Dezember 2021 habe ich vor dem Finanzausschuss des irischen Parlaments gesprochen und dabei unter anderem folgendes gesagt (Übersetzung mit DeepL):

„Der Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung sollte also widerspiegeln, dass Staatsausgaben für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Beseitigung gesellschaftlicher Missstände unerlässlich sind. Das Lohnwachstum der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes ist ein entscheidender Faktor für die Inflationsrate. Die bestehenden Regeln waren zu streng. Die EZB hat ihr Inflationsziel in den letzten zehn Jahren nicht erreicht, weil das Lohnwachstum und die Staatsausgaben zu niedrig waren. Außerdem ist die Arbeitslosenquote in der Eurozone nie unter 7 % gefallen. Diese Zahl ist zu hoch. Die Regeln müssen expansiver und aufgabenorientierter sein. Außerdem müssen sie auf die spezifischen Bedingungen der Länder der Eurozone zugeschnitten sein.“

Damit die Eurozone wirtschaftspolitische Ziele erreichen kann – u.a. Vollbeschäftigung und Preisstabilität – ist es erforderlich, die Staatsausgaben an diesen Zielen auszurichten. Aktuell werden sie an Defiziten und Staatsschulden ausgerichtet, was natürlich dazu führt, dass die anderen Ziele dann wenn überhaupt nur zufällig erfüllt werden würden. Es wäre daher wünschenswert, wenn die Fiskalregeln der EU so angepasst werden, dass die Auswirkungen auf die Wirtschaft im Vordergrund stehen. Kennzahlen wie Defizite und Schulden wären dann sekundär. Anders ist vor allen Dingen die sozial-ökologische Transformation in der EU und der Eurozone nicht zu bewältigen, denn diese erfordern höhere öffentliche Ausgaben. Davor sollte die Politik ihre Augen nicht verschließen.