Warum Zölle?

12.06.2024

Aktuell gibt es eine Debatte über die Frage der Zölle im internationalen Handel. Die USA preschen voraus mit Zöllen von 100% auf chinesische Elektroautos, in Deutschland tut man sich schwer. Warum eigentlich sollen Zölle positiv auf die Gesamtwirtschaft wirken?

Zuletzt erschienen zur Frage der Zölle zwei Artikel in Makroskop, die beide die gleiche Sicht vertraten. Bei Thomas Fazi liest sich der zentrale Absatz wie folgt:

„Die USA stecken in einer Zwickmühle. Denn durch die Abschirmung amerikanischer Autohersteller vor der chinesischen Konkurrenz wird wahrscheinlich jede technische Innovation gehemmt. Aber auch ohne die Zölle werden die US-Autohersteller Mühe haben, das Jahrzehnt zu überleben, da amerikanische Autos doppelt oder dreimal so viel kosten wie ihre chinesischen Pendants. Die Regierung mag also die amerikanische Autoindustrie auf Kosten der amerikanischen Verbraucher noch ein paar Jahre künstlich stützen – aber damit verzögert sie ihren Tod nur, sie rettet sie nicht.“

Zusammengefasst: Zölle lassen jegliche Dynamik in der Industrie absterben, und davon gibt es beim Automobilbau eh nicht mehr viel. Also sollten die USA gar nicht erst versuchen, in den Sektoren technologische Marktführerschaft anzustreben, in denen China dominant ist. Fazi nennt Stahl, Aluminium und Elektrofahrzeuge als Beispiele.

Im Artikel von Eric Bonse wird angenommen, dass ein „Handelskrieg“ mit Zöllen zu Wohlstandsverlusten führt. Bonse schreibt:

„Doch nun könnte die EU eins bekommen – denn sie gerät im Handelskrieg zwischen den USA und China zwischen die Fronten. Die Protektionismus-Falle schnappt zu: Die USA haben die EU und die G-7 aufgefordert, ihrem "Beispiel" zu folgen und ebenfalls hohe Zollbarrieren zu errichten. China droht derweil mit Vergeltung. Ein Experte sprach von 25 Prozent Einfuhrzoll, der für westliche Verbrenner-Fahrzeuge mit größeren Motoren gelten soll.“

Natürlich würden geringere Exporte die Gewinne der Automobilindustrie schmälern. Allerdings würden höhere Löhne als alternative Wirtschaftspolitik mit Fokus Inlandsnachfrage ja eine Option sein, um das Exportweltmeistermodell abzulösen. Dieses beruht auf der Idee, dass geringes Lohnwachstum dazu führt, dass die Arbeiter mehr produzieren als sie konsumieren (weil die Löhne geringer wachsen als die Produktion). So kann ein Überschuss exportiert werden, der die Gewinne der Exporteure erhöht. Das lohnt sich für die Exporteure, aber nicht für die Arbeiter, die dadurch schlechtergestellt werden.

Was beide Artikel gar nicht erwähnen ist die Standortfrage. Zölle können als „Erziehungszoll“ erhoben werden, so wie es auch Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland bzw. im Deutschen Reich der Fall war. Die „Baby-Unternehmen“ werden vor internationaler Konkurrenz geschützt und vom Staat hochgezogen, bis sie wettbewerbsfähig sind. Das ist dann der Fall, wenn die eigenen Fabriken etwa so groß sind wie die der Konkurrenz und damit auch die Kostenstruktur zumindest ähnlich ist. Das ist das, was Biden und seine Berater wohl im Kopf haben. Sie wollen, dass die grüne Infrastruktur und Technologie aus den USA kommt, um eine Abhängigkeit von chinesischen Exporten zu vermeiden.

Ein weiterer Punkt, der sich daran anschließt, ist wie gesagt die Standortfrage. Wenn schon die Firmen im Inland nicht wettbewerbsfähig sind, dann kann die Wirtschaftspolitik wenigstens dafür sorgen, dass die entsprechenden Güter im Inland produziert und nicht importiert werden. Aufgrund von Transport- und Transaktionskosten kann es sowieso für ein Unternehmen günstiger sein, nah am Markt zu produzieren. So gibt es z.B. eine Gigafactory von Tesla in Brandenburg und die deutschen Hersteller haben Fabriken in den USA und in China (einige). Wenn aber die Unternehmen nicht freiwillig kommen, dann kann man sie mit Zöllen locken. Der Vorteil: Die Produktion im Inland bringt know-how und schafft gut bezahlte industrielle Arbeitsplätze. 

Genau so hat sich auch China in den letzten Jahrzehnten industrialisiert. Nun ist es andersherum. Bei den Elektroautos ist China quasi schon Marktführer, Qualität und Preis sind fast unschlagbar. Über die nächsten Jahrzehnte würde es eng werden für deutsche Hersteller. China wird sehr, sehr viele Ingenieure haben und wahrscheinlich schwer zu schlagen sein. Wenn sich die chinesischen Autos durchsetzen, dann wäre es gut, wenn sie wenigstens hier in Europa produziert werden würden. So hat BYD gerade die erste Automobilfabrik in der EU eröffnet – in Ungarn. Dort entstehen industrielle Arbeitsplätze im Automobilbau, während diese in Deutschland weniger werden. 

Die Spielregeln des internationalen Handels für Länder mit Technologievorsprung sind andere als für den Rest. Europa und die EU sind es gewohnt, dass sie „Freihandel“ unterstützen, weil ihre Firmen groß und wettbewerbsfähig sind. Im Bereich der Elektroautos und auch in anderen grünen Sektoren ist man aber ins Hintertreffen geraten. Nun hieße „Freihandel“, dass die eigene Industrie von Importen verdrängt wird. So ist es schon in den 2010er Jahren mit der deutschen Solarindustrie gelaufen, und so könnte es auch mit anderen Branchen laufen.

Deutschland und die EU brauchen dringend ein neues Wirtschaftsmodell. Die Vergötterung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, wie von Mario Draghi jüngst befürwortet, hat die EU in eine Sackgasse geführt. Die EU krankt an einer dysfunktionalen makroökonomischen Regulierung (Defizitgrenzen, Fiskalpakt, etc.) und einer einseitigen Ausrichtung auf „Wettbewerbsfähigkeit“, bei der statt steigender Produktivität auf sinkende Löhne gesetzt wird. 

Zölle sind ein probates Mittel, um die sozial-ökologische Transformation schaffen zu können. Das heißt nicht, dass die EU Autarkie anstreben sollte. Importe von Gütern und Dienstleistungen und damit auch Technologie sind Teil der Lösung. Allerdings ist der Preis dieser Importe abhängig von der Frage, wie denn der Markt aussieht. Gibt es keine Alternativen zu Importen, dann werden die Preise hoch sein und die Transformation wird teuer. Zudem macht man sich abhängig vom Ausland. Durch geschickte Industriepolitik und die entsprechende Förderung von Industrie und anderen Sektoren können gleich mehrere Ziele gleichzeitig erreicht werden. Die wirtschaftliche Aktivität wäre besser im Raum verteilt, was den Druck auf die Metropolen reduziert. Die Technologie ist im Inland vorhanden, bei Konflikten können einheimische Unternehmen mit ihrer Produktion Importe ersetzen. Die Arbeitsplätze könnten an die Mitgliedschaft in Gewerkschaften gekoppelt sein, so dass gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen, was die Verteilung verbessert.

Sicherlich haben Zölle auch Nachteile. So könnte die Effizienz leiden, wenn statt in einer großen Fabrik in China die Produktion in kleineren Fabriken weltweit stattfindet. Dieser Preis sollte aber nicht zu hoch sein für den Erhalt der Souveränität bei der Frage, wie wir unsere Gesellschaft umbauen wollen. Vermutlich sind die Zölle auch nur temporär, denn sobald chinesische Hersteller in Europa für Europe produzieren sind die Kosten der „Kapitalflucht“ derart hoch, dass die Rücknahme der Zölle nur sehr geringe Auswirkungen hätte. In anderen Ländern ist es völlig selbstverständlich, dass die Autofabriken mehrheitlich ausländischen Herstellern gehören, so wie es z.B. in Großbritannien der Fall ist. 

Sollten die deutschen Hersteller den Sprung in die Weltspitze bei den Elektroautos verpassen, dann wäre das für den Standort Deutschland nicht das Aus, sondern würde „nur“ die Übernahme der deutschen Hersteller durch erfolgreichere Hersteller aus dem Ausland bedeuten bzw. die Übernahme der Fabriken, um erfolgreichere Marken in Deutschland zu produzieren. Die Arbeitsplätze blieben erhalten, auch wenn sie sich ändern, aber eine Deindustrialisierung, wie sie von vielen befürchtet wird, würde nicht stattfinden. Besser wäre es natürlich, wenn die deutschen Hersteller sich wieder an die Weltspitze setzen.