Was können wir uns (nicht) leisten?
In weiten Teilen der europäischen Politik herrscht Verwirrung über die Frage, was wir uns leisten können. In Großbritannien wurde jüngst ein Keynes-Zitat verdreht, was sicherlich kein Zufall war. Was also können wir uns denn leisten und woher wissen wir das?
Die Frage, was wir uns leisten können, ist eine sehr alte ökonomische Frage. Über die Jahrhunderte wurde sie immer wieder von der aktuellen Generationen der Ökonomen beantwortet, so auch von John Maynard Keynes. Dieser sagte in einer Radio-Sendung der BBC im Jahr 1942 (übersetzt mit DeepL, via JW Mason, fett durch mich):
„Wir sollten uns nicht der abscheulichen Doktrin des neunzehnten Jahrhunderts unterwerfen, dass jedes Unternehmen sich in Pfund, Schilling und Pence an Bareinnahmen rechtfertigen muss ... Warum sollten wir nicht in jeder größeren Stadt die Würde einer alten Universität oder einer europäischen Hauptstadt hinzufügen ... ein großes Theater, einen Konzertsaal, einen Tanzsaal, eine Galerie, Cafés und so weiter. Sicherlich können wir uns dies und noch viel mehr leisten. Alles, was wir tatsächlich tun können, können wir uns leisten. ... Wir sind unermesslich reicher als unsere Vorgänger. Ist es nicht offensichtlich, dass unser kollektives Handeln von einer gewissen Sophisterei, einem Trugschluss, geleitet wird, wenn wir gezwungen sind, in Bezug auf die Verschönerungen des Lebens so viel ungerechter zu sein als sie? ...
Doch das sind nur die Kleinigkeiten, die auf den solideren, dringenden und notwendigen Ausgaben für die Unterbringung der Menschen, für den Wiederaufbau der Industrie und des Verkehrswesens und für die Neugestaltung der Umwelt unseres täglichen Lebens liegen. Wir werden nicht nur in den Besitz dieser hervorragenden Dinge kommen. Mit einem großen Programm, das in einem geregelten Tempo durchgeführt wird, können wir hoffen, die Beschäftigung für viele Jahre aufrechtzuerhalten. Wir werden in der Tat unser neues Jerusalem aus der Arbeit erbaut haben, die wir in unserer früheren eitlen Torheit ungenutzt und unglücklich im erzwungenen Müßiggang belassen haben.“
Es geht hier um den Wiederaufbau Großbritanniens nach Kriegsende. Keynes betont, dass die Grenzen durch die Ressourcen gesetzt werden, nicht durch das Geld. Im Original heißt es bei ihm: „Anything we can actually do, we can afford.“ Das ist eine positive Nachricht und sollte die Menschen optimistisch stimmen. Alles, was wir tatsächlich tun können, können wir uns leisten – wir als Gesellschaft sind in der Lage, Theater, Konzert- und Tanzsäle, Galerien und Cafés zu bauen, ohne dass diese über „Bareinnahmen“ gerechtfertigt sein müssen. Die „abscheuliche Doktrin“ des neunzehnten Jahrhunderts kann laut Keynes zumindest in Teilen überwunden werden.
Die Schatzkanzlerin im Kabinett Starmer, Rachel Reeves, wurde jüngst im Guardian wie folgt wiedergegeben (übersetzt mit DeepL.com):
„Reeves sagt: "Wenn wir es uns nicht leisten können, können wir es nicht tun", und macht damit deutlich, dass das für sie das Ende der Angelegenheit ist. Ihre Definition dessen, was man sich leisten kann und was nicht, hängt davon ab, ob die willkürlichen Regeln für die Verwaltung der Staatsfinanzen eingehalten werden oder nicht.
Im Wesentlichen gibt es zwei Regeln: Die Verschuldung sollte nach den Prognosen des Office for Budget Responsibility zwischen dem vierten und fünften Jahr als Prozentsatz des Volkseinkommens sinken. Die zweite Regel besagt, dass die Ausgaben des Staates seine Einnahmen in den nächsten fünf Jahren nicht um mehr als 3 % des BIP übersteigen dürfen.“
Hier haben wir das genaue Gegenteil von dem, was Keynes sagte. Die Regierung hätte kein Geld, und somit könne sie auch nicht die Ressourcen bekommen, die sie für Theater, Konzert- und Tanzsäle, Galerien und Cafés bräuchte. Was folgt daraus? Die Labour-Regierung wird Finanzmärkte anbetteln, damit diese wenigstens etwas Geld geben können für ein bisschen Kultur. Mehr können sich Großbritannien halt nicht leisten.
Diese Art von Argument geht u.a. auf Margaret Thatcher zurück und ihren Steuerzahlermythos. Es ist eine Verdrehung der Realität, um den Staat kleinzuhalten und ihn zu zwingen, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen, damit kapitalistische Unternehmen dann Gewinne machen können. Dass das nicht so einfach funktioniert, haben wir nicht nur in Großbritannien in den letzten 4 Jahrzehnten gesehen. Die Wachstumsraten sind niedriger, die Ungleichheit steigt, ebenso die Umweltbelastung. Die Labour-Partei führt hier die neoliberale Politik von Margaret Thatcher weiter. Auch in Deutschland stellt sich nicht nur die FDP in den Dienst des Mythos des Steuerzahlers. Unterstützung gab es jüngst von der taz aus Berlin, die in einem Artikel die Schuldenbremse lobte und mein Angebot einer Replik nicht beantwortete – aber auch das ist eine Nachricht.
Die gute Nachricht ist, dass immer mehr Menschen aufgeklärt sind über das Geldsystem und derartige „Erzählungen“, „Mythen“ und „Narrative“ immer weniger verfangen. Im Juli war ich auf der MMT-Konferenz in Leeds, von der ich nächste Woche noch berichten werde.