Wie gelingt die sozial-ökologische Transformation?

12.08.2024

Im Dezember 2023 wurde bei Table.Media ein Standpunkt von mir zur monetären Staatsfinanzierung veröffentlicht. Ich argumentiere darin, dass eine monetäre Staatsfinanzierung sinnvoll sein kann, weil sie die Bürgerinnen und Bürger besser darüber aufklärt, dass das Geld des Staates nicht begrenzt ist und ein Staatsbankrott nicht das richtige Paradigma ist, um über die Höhe der Staatsausgaben zu entscheiden.

Ohne monetäre Staatsfinanzierung keine sozial-ökologische Transformation?

Die monetäre Staatsfinanzierung ist in der Eurozone verboten. Angesichts der gewaltigen Finanzierungsbedarfe für die Transformation sollte die europäische Politik umdenken. Eine monetäre Staatsfinanzierung, angelehnt an das kanadische Modell, könnte Abhilfe schaffen.

Von Dirk Ehnts

Die Finanzierungsbedarfe für die sozial-ökologische Transformation sind gewaltig. Der Europäische Rechnungshof kam 2017 in einem Bericht auf einen jährlichen Betrag von rund 1,1 Billionen Euro für die Europäische Union für die Periode von 2020-2023. Durch die vier weitgehend verlorenen Jahre der Pandemie dürfte sich dieser Bedarf noch weiter erhöht haben. Aber während die US-Regierung mit Hunderten Milliarden Dollar an Subventionen grüne Investitionen finanziert, wird in Deutschland nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über Sinn und Unsinn einer Schuldenbremse diskutiert. Dabei wird gewöhnlich einseitig auf die Schulden des Gemeinwesens geschaut. Aber durch Staatsausgaben entstehen ebenso gewaltige Geldvermögen, weil ja die Ausgaben des Staates zu Einnahmen und Ersparnissen bei Haushalte und Unternehmen führen. Das wird allerdings meist übersehen. Wir brauchen einen neuen Blick auf das Geldsystem und die monetäre Staatsfinanzierung.

Geld ist nicht nur ein Zahlungsmittel, sondern Geld lässt sich auch prinzipiell als eine Antwort auf die uralte Frage verstehen, wie in einer Gesellschaft Individuen zum Gelingen des Gemeinwesens beitragen können. Das gilt für eine religiöse Gemeinschaft genauso wie für einen Tennisverein oder eine moderne Nation. Gesellschaften haben dabei im Laufe der Geschichte unterschiedliche Arrangements geschaffen, mit denen sich Individuen einbringen können. Eine Lösung waren Naturalsteuen wie der Zehnt, den die katholische Kirche und weltliche Herrscher in Europa seit dem Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert von von Bürgern verlangten.

Münzgeld aus Edelmetall stellte eine bessere Lösung dar. Der Tempel in Mesopotamien verlangte schon in der Antike nicht ein Zehntel der Produktion, sondern die Zahlung von Steuern zur Finanzierung allgemeiner Aufgaben in Münzgeld. Konzipiert war die Abgabe als Pro-Kopf-Steuer. Bürger waren damit gezwungen, Güter und Dienstleistungen anzubieten und im Gegenzug auf dem Markt das staatliche Geld zu erwerben, um damit die Steuern zu bezahlen. Der Staat kaufte sich mit seinem Geld alles, was er benötigte, später dann auch mit Papiergeld statt Münzen aus Edelmetall.

In den 1760er Jahren funktionierte das Papiergeldsystem der britischen Kolonie Virginia in Nordamerika ebenfalls auf diese Art und Weise: Erst gab die Regierung frisches Papiergeld für Projekte wie den Bau von Brücken oder Schulen aus, danach wurde es über Steuerzahlungen lokal eingesammelt – und verbrannt. Denn das zentrale Nachdrucken des Papiergeldes war effizienter als das Transportieren großer Bargeldsummen.

Der Begriff "Staatsfinanzierung" bezieht sich auf ein Geldsystem, welches durch einen Goldstandard mit festem Wechselkurs gebildet wird. In einem solchen System muss der Staat tatsächlich erst Goldmünzen von seinen Bürgern besorgen, indem er sie über Steuern einzieht oder sich diese über Versprechen, mehr Goldmünzen in der Zukunft zurückzuzahlen, als Staatsanleihen leiht. Nur ein Bruchteil der Geldsysteme der Moderne hatten diese Ausprägung. Aber da dieses System einfach zu verstehen ist, gilt es bis heute für viele quasi als das Standardsystem der Geldgeschichte. Kaum ein Lehrbuch der Makroökonomik kommt ohne es aus, kaum ein Ökonom – links wie rechts – argumentiert außerhalb des Rahmens. In den 1980er Jahren prägte die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher den Begriff des "Steuerzahlergeldes". Demnach ist die einzige Geldquelle des Staates, jenes Geld, das die Menschen selber verdienen. Will der Staat mehr Geld ausgeben, kann er dies nur tun, indem er sich die Ersparnisse seiner Bürgerinnen und Bürger leiht oder sie stärker besteuert. Nach dieser Logik gibt es kein staatliches Geld, sondern nur das Geld der Steuerzahler. Für eine hohe Verschuldung des Staates müssen gemäß dieser Logik dann am Ende des Tages die Bürgerinnen und Bürger zahlen. Margret Thatcher erzeugte wie andere Politiker dieser Zeit den Mythos des Steuerzahlergeldes, um Panik vor Staatsverschuldung zu schüren. Um dann die Staatsverschuldung zu senken, wurden große Teile der öffentlichen Hand privatisiert. Aus der dahinter stehenden neoliberalen Logik erbringt der Markt ohnehin alle Leistungen effizienter als der Staat.

Aber aus dieser Politik resulierte kein höheres Wachstum der Wirtschaft. Der sich verstärkende Niedergang der britischen Industrie sorgte für zunehmende Armut und eine soziale Spaltung zwischen dem Finanzzentrum London und dem Rest des Landes.

Während der Pandemie kam es in England zu einer interessanten Entwicklung. Boris Johnson bat die Bank of England, ihm Zahlungen zu ermöglichen, die entgegen üblicher Praxis nicht zur Ausgabe von Staatsanleihen in gleicher Höhe führen sollten, was nichts anderes als eine teilweise direkte monetäre Staatsfinanzierung bedeutet hätte. Kurz zierte sich die Zentralbank, aber dann erlaubte sie am 9. April 2020 dem britischen Premierminister diese Form direkter monetärer Staatsfinanzierung. Angeblich wurde sie nie genutzt, aber es bleibt doch festzuhalten, dass der Beschluss keinerlei Auswirkungen auf die britische Wirtschaft hatte: Weder zuckten die Preise der Staatsanleihen oder der Wechselkurs, es gab auch keinen Anstieg der Inflation.

In Kanada ist die monetäre Staatsfinanzierung seit 1935 Realität. Dabei ist Kanada als völlig normales westliches Land bekannt, welches Wirtschaftspolitik betreibt wie andere Ländern auch. Dieser Weg ist der EZB versperrt, sie darf keine direkte Staatsfinanzierung betreiben, indem sie den nationalen Regierungen direkt Staatsanleihen abkauft. Infolge der Finanzkrise hat die EZB aber in großem Ausmaß Anleihen von Eurostaaten von Banken aufgekauft, eine indirekte Form der "Staatsfinanzierung".

Eine solch- praktizierte monetäre Staatsfinanzierung macht deutlich, dass "Staatsschulden" für eine Zentralregierung kein Problem sind. Denn Staaten können über ihre Zentralbank immer Zahlungen tätigen, auch für Zins- oder Rückzahlungen bei Staatsanleihen. Die Wissenschaftler Will Bateman und Jens van 't Klooster argumentierten jüngst folglich, dass dieses Instrument selbstverständlich zum Instrumentarium einer Zentralbank gehören würde. Es stimmt auch nicht, dass durch diese Form der monetären Staatsfinanzierung Inflation entsteht, wie der Wissenschaftler Josh Ryan-Collins aufzeigte. Ohne Staatsanleihen entfiele auch der verhängnisvolle Trugschluss, dass die "Staatsschulden" irgendwie mit privater Verschuldung zu vergleichen wären. Während bei dieser der Schuldner Zahlungen an den Gläubiger leistet, um die Verschuldung zu reduzieren, ist es bei der "Staatsverschuldung" genau anders herum. Die Steuerzahler müssen an den "Schuldner" Staat zahlen, um die Staatsverschuldung zu reduzieren.

Wenn die Zentralbanken sämtliche Staatsanleihen aufkaufen und die Emission von diesen einstellten, würde ziemlich schnell klar werden, wie das Geldsystem wirklich funktioniert. Dann gäbe es eine Diskussion darüber, wie hoch die Ausgaben sein müssten, um reale wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Die knappen Ressourcen, zu denen auch Arbeit gehört, würden dann die Grenzen bilden. Zudem stehen vom Staat genutzte Ressourcen uns nicht mehr zum Konsum zur Verfügung. Eine direkte Staatsfinanzierung würde also nicht dazu führen, dass die Regierungen auf die Idee kämen, die Staatsausgaben ließen sich beliebig steigern.

Gerade in Bezug auf die Dringlichkeit der Transformation wäre der Umstieg auf eine direkte Staatsfinanzierung eine Politikmaßnahme, die nichts kostet, aber den Blick auf die Realität schärft und so zu besseren Resultate beim Wirtschaften beiträgt. Unbedingt nötig ist sie nicht, denn auch während der Pandemie konnten die Regierungen der Eurozone aufgrund des Aussetzens des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und aufgrund des Ankaufprogramms der EZB Ausgaben in gewünschter Höhe tätigen ohne Blick auf fiskalische Defizite oder sonstige statistische Größen. Der Vorteil der direkten Staatsfinanzierung ist nicht technischer, sondern politischer Natur. Erstens richtet sie den Scheinwerferstrahl auf die Realwirtschaft und damit die echten Probleme und zweitens wird klar, dass Geldschöpfung die zusätzlichen Ausgaben bezahlt. Damit entfällt die Wahl zwischen Pest und Cholera, ob die Transformation durch zusätzliche Steuern heute bezahlt wird (auf "Kosten" der heutigen Generationen) oder durch zusätzliche Schulden (auf "Kosten" der zukünftigen Generationen). Beides ist falsch. Nur diejenigen, die höhere Einkommen haben durch die Transformations-Ausgaben, werden mehr Steuern zahlen. Und die "Schulden" sind kein Problem.

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Dirk Ehnts ist promovierter Ökonom und lebt in Berlin. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Göttingen arbeitete er an verschiedenen Universitäten und Fachhochschulen, u.a. als Vertretungsprofessor an der FU Berlin und als Gastdozent der HWR Berlin. Ehnts ist ständiges Mitglied im Ausschuss für die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften des Vereins für Socialpolitik. Er beschäftigt sich mit Geldtheorie, Makroökonomik sowie der Verknüpfung von Geldtheorie und Ressourcen, um Nachhaltigkeit und Klimawandel besser analysieren zu können. Sein Lehrbuch "Makroökonomik: Wirtschaftstheorie für das 21. Jahrhundert" erschien im Oktober 2023. Auf seinem Blog behandelt er ein weites Feld von ökonomischen bis hin zu ökologischen Problemen.

(Mit freundlicher Genehmigung von Caspar Dohmen von table.media.)